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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gutes Zeichen.«
    »Gib ihn mir mal!«
    »Er ist grad aufm Klo.«
    »Sag ihm, er soll auf mich warten.« Ich legte auf.
    »Wir müssen ein Mädchen suchen.« Thon war ins Büro gekommen. Heute mit blauem Halstuch.
    »Wen?«, sagte ich.
    Er sagte: »Bettina Eberl.«
    »Das ist allerdings unsinnig.«
    Bettsy war eine Dauerläuferin. Sie war vierzehn und haute seit ihrem elften Lebensjahr regelmäßig von zu Hause ab. Ihr Vater war Lehrer, im Elternbeirat stellten einige Mitglieder inzwischen seine Qualifikation als Pädagoge in Frage, da er es offensichtlich nicht einmal schaffte, seine eigene Tochter zu erziehen. Seine Frau hatte wegen Bettsy eine Therapie begonnen, sie starb jedes Mal fast vor Angst.
    »Herr Eberl hat mir gesagt, seine Frau hat heut Morgen Schnaps getrunken, mehrere Gläser, sie ist völlig fertig. Also, machen wir uns auf die Suche.«
    »Sie kommt wieder, wie immer«, sagte ich.
    »Bring sie zurück!«
    »Sie ist am Stachus oder am Hauptbahnhof. Wie immer.«
    »Die Kollegen waren schon dort, sie ist nicht da, niemand hat sie gesehen. Nimm Sonja mit!« Er nickte ihr zu und verließ das Büro.
    Sonja studierte die neuesten LKA-Mitteilungen über unbekannte Tote.
    »Weißt du, wo sie steckt?«, fragte sie.
    Ich sagte: »Ja. Du brauchst nicht mitzukommen.«
    Dann rief ich im »Glockenbachstüberl« an. »Gib mir den Franticek!«
    »Hier ist Kellerer«, sagte er.
    »Süden. Wie lang sind Sie noch in der Kneipe?«
    »Ich war grad in der Gegend, ich wohn ja eigentlich am Hasenbergl…«
    »Wie lange bleiben Sie noch in der Kneipe, Herr Kellerer?«
    »Lang wahrscheinlich. Das heißt nix Gutes, dass der Max verschwunden ist.«
    »Warum?«
    »Weil der nicht einfach so verschwindet. Meiner Meinung nach ist der depressiv, verstehens?«
    »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Mei… vor fünf Jahren vielleicht, vor sechs Jahren. Du, Alex…«
    »Wir sprechen später«, sagte ich.
    Erst musste ich Bettsy in ihr geliebtes Elternhaus zurückbringen.
    Obwohl die Kollegen schon dort gewesen waren, ging ich noch einmal zum Hauptbahnhof, gleich gegenüber unserem Dezernat, und anschließend ein paar hundert Meter weiter zum Stachus. Dort trafen sich die Jugendlichen im Untergeschoss oder auf dem Platz vor dem Brunnen. Wer schnelle Drogen brauchte, konnte sie hier kriegen. Bettsy war nicht auf Drogen, sie haute nur ab, weil sie etwas erleben wollte. Was, wusste sie nicht. Achtmal war sie inzwischen ausgerissen, einige Male war sie freiwillig zurückgekommen, ansonsten hatten wir sie eingesammelt.
    Ich sammelte sie ein. Ich brachte ihre Freunde zum Sprechen. Seitdem hielt sich das Gerücht, ich könne gut mit Kindern umgehen.
    Was sollte ich dazu sagen? Dass das nicht stimmte? Dass ich mit Kindern nichts anfangen konnte? Sie wären bestimmt ein toller Vater, sagte einmal eine Mutter zu mir. Ich sagte: Wieso? Sie sagte: Das spür ich. Mit Kindern hatte ich allerdings wenig zu tun. Vor allem mit Jugendlichen. Mit jungen Erwachsenen. Trotzdem wurden sie Kinder genannt, von den Eltern, von den Angehörigen, von meinen Kollegen: Das Kind ist weg. Bettsy.
    Einer ihrer Freunde, Hindu, stand wie immer neben der Eingangstür des McDonald’s am Stachus. Er bettelte nicht. Er stand nur da und machte ein schmerzensreiches Gesicht. Er war fünfzehn, dürr und hatte seinen Kopf zur Hälfte kahl rasiert.
    »Wo ist Bettsy?«, sagte ich.
    Er sagte: »Stör mich nicht!«
    »Wobei?«
    Er sah den Leuten, die das Restaurant verließen, in die Augen, aber niemand reagierte.
    »Soll ich dich mitnehmen?«, sagte ich. »Ich habs eilig.« Seine schwarzrot karierte Hose war etwas stärker zerrissen als beim letzten Mal, und sein linkes, siebenmal gepierctes Ohr sah entzündet aus.
    »Da kriegst du aber sauber Ärger mit meinem Alten«, sagte er.
    Hindu, der eigentlich Sebastian hieß, war kein Jugendlicher. Er war kein Kind. Er war ein Baby. Abgesehen davon, dass er Haschisch rauchte und Bier trank, kehrte er brav jede Nacht nach Hause zurück. Sein Vater war Beamter im Innenministerium, der manchmal im Dezernat anrief, wenn sich sein Sohn über die Behandlung durch meine Kollegen beschwert hatte. Auch über mich gab es eine Aktennotiz, vom Staatssekretär des Innenministers persönlich unterschrieben. Als ich auf der Suche nach Bettsy erstmals mit Hindu zu tun gehabt und er den Ahnungslosen gemimt hatte, fuhr ich mit ihm zur Großhesseloher Brücke. Seit dem Neubau zweigte von der Brücke ein langer Seitenarm ab, auf dem man bis ans

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