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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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brannten Grillfeuer, auf jeder Brücke konnte man die Schwaden riechen. Nach einer langen Reise mündete der Fluss in die Donau und mit ihr ins Schwarze Meer. Ich wurde an einem Bach geboren, der in einen Fluss überging, welcher sich wiederum mit der Isar vereinigte. So stellte ich mir als Kind oft vor, dass ich in einem Schlauchboot eines Morgens das Schwarze Meer erreichen würde, wo immer das sein mochte, jedenfalls am Ende der Welt. Und dort würde ich dann bleiben.
    Weit war ich bisher nicht gekommen. Sechzig Kilometer. Und es sah nicht so aus, als würden es viel mehr Kilometer werden.
    Ich dachte an den gestrigen Abend auf dem Nockherberg, an diese immer gleichen Momente, jedes Jahr von neuem, an die Sommertage, die diese Stadt veredelten. Wenigstens in meiner Vorstellung. An die Langsamkeit, an das Dasitzen und Zeit-verstreichenlassen, an die Ordnung der Dinge, die aus nichts als einem Stuhl und einem Tisch bestand, an die vertrauten Geräusche, Schritte auf Kies, Stimmengebrumm, das Klirren der schweren Glaskrüge, Rufe, wenn einer zu spät kam und in der Menge Ausschau hielt.
    Sicher gab es diese Orte und Momente in jeder Stadt. Aber ich kannte keine andere als diese, ich hatte nie woanders gelebt, ich war es gewohnt, hier zu sein. So wie Maximilian Grauke gewohnt war, auf seinem Schemel zu sitzen und seinem Handwerk nachzugehen. Für die Qual der meisten Menschen, die ich als Polizist traf, hatte ich ein Wort: Quemose. Zimmerlastigkeit. Es war mir in der Straßenbahn eingefallen. Ute behauptete, wenn es diese Quemose tatsächlich gäbe, dann hätte mich eine der schlimmsten Formen erwischt. Ich war mir nicht sicher. Ich bildete mir ein, unbehaust zu sein, ein Draußener. Ich war einer, der sich vor fremden Wohnungen fürchtete, vor Gemeinschaften und jeglicher Tischgesellschaft. Einer, dem es passierte, dass er, wenn er umarmt wurde, ein klaustrophobisches Empfinden hatte. Und der dennoch in einem Beruf arbeitete, der auf Teamgeist und Kommunikationsfähigkeit basiert. Und der ständig gezwungen war, in fremde Wohnungen zu gehen, sich mit den unterschiedlichsten Menschen auszutauschen und eine Autorität darzustellen. Wie Kris Kristofferson in meiner Jugend sang: » I’m a walking contradiction, partly truth and partly fiction… «
    Doch der Grund, warum ich ausgerechnet in der Vermisstenstelle der Kripo mein Leben verbrachte, hatte mit alldem nichts zu tun.
    »Geflogen ist er nicht«, sagte Sonja Feyerabend, die ich von einer Telefonzelle am Rand des Viktualienmarktes aus anrief. Sie hatte mit einer Reihe von Reisebüros und Flughäfen telefoniert, nicht nur in Deutschland, auch in Österreich und der Schweiz. Sie hatte noch einmal mit Frau Grauke gesprochen und erfahren, dass deren Mann zwar einen Führerschein besaß, aber nie das Auto benutzte. Mit dem alten Audi fuhren entweder seine Frau oder seine Schwägerin. Der Wagen stand angeblich in der Ickstattstraße. Sonja hatte zur Kontrolle eine Streife hingeschickt.
    Dann hatte Sonja noch etwas herausgefunden, das Frau Grauke so verstörte, dass sie anfing zu weinen. Sonja musste zu ihr fahren und neben ihr stehen, während sie mit ihrer Bank telefonierte.
    Der Filialleiter persönlich bestätigte, Herr Grauke habe zwanzigtausend Mark vom Konto abgehoben, und zwar am vergangenen Freitag. Das war genau die Hälfte ihrer Ersparnisse.
    »Das darf der doch gar nicht!«, sagte Frau Grauke. Genauso, wie er einfach weggehen durfte, durfte er so viel Geld vom Konto abheben, wie er mochte. Er hatte die Vollmacht, er brauchte seine Frau nicht zu fragen. Anstatt wie geplant in die Kreuzstraße, ging ich in die Müllerstraße und sprach selbst mit dem Filialleiter. Das hätte ich nicht tun müssen. Jemand, der sich zwanzigtausend Mark auszahlen ließ, hatte nicht vor sich umzubringen. Jedenfalls war die Wahrscheinlichkeit sehr gering. Blieb die Möglichkeit eines Verbrechens. War Grauke gezwungen worden, das Geld zu besorgen? War er womöglich entführt worden? War er in illegale Geschäfte verwickelt? Wurde er bedroht? Hatte er Schulden?
    »Er war mufflig wie immer«, sagte Eberhard Vocke. »Er hat vorher angerufen und gesagt, er hätte gern das Geld.«
    »Wann hat er angerufen?«
    »Ende vorletzter Woche, glaub ich.«
    »Könnten Sie das rausfinden?«
    Er ließ mich allein in seinem Büro. Mit den Duftrückständen seines Rasierwassers. Dann kam er zurück, mit einem frohen Gesichtsausdruck, so froh, als wäre er soeben einstimmig in den Vorstand gewählt

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