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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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nicht rausrücken«, sagte Klausi.
    »Unbedingt«, sagte ich. Es kamen die Obstler. Neue Obstler kamen.
    Im Dezernat hatte jemand eine Diskette für mich abgegeben. Thon gab sie mir. Er sah mir dabei zu, wie ich sie in den Computer schob. Die Datei hieß Grauke. Ich konnte sie nicht öffnen. Etwas klemmte. Ich nahm die Diskette heraus und versuchte es ein zweites Mal. Nichts zu machen. Ich war wütend. Ich suchte Martin, der in der Lage war, die Technik auszutricksen.
    Während ich von einem Büro zum nächsten ging, überlegte ich, ob das überhaupt stimmte, dass Martin auf diesem Gebiet ein Ass war. War er nicht vielmehr genauso ratlos wie ich, wenn es Probleme mit dem Rechner gab? Ich war verwirrt.
    Paul Weber sagte, Martin sitze im »Café Maxi«. Das türkische Lokal befand sich im Untergeschoss unseres Gebäudes. Ich lief die Treppe hinunter. Martin war nicht im Café. Niemand hatte ihn gesehen. Ich kehrte in mein Büro zurück und probierte es noch einmal.
    »Lass mich das machen!«, sagte Thon. Er setzte sich an meinen Schreibtisch, tippte eine Weile und gab dann auf. Viele Kollegen liefen herum, aber keiner hatte Zeit. Ich versuchte es weiter. Und endlich klappte es. Ich klickte die Datei an und sie ließ sich öffnen. Ich druckte sie sofort aus.
    Als ich mich umdrehte, lagen die Ausdrucke schon auf meinem Tisch. Sehr merkwürdig. Noch merkwürdiger war, dass es sich bei den Ausdrucken um zwei große runde Pizzastücke handelte, mit dünnem Boden und einer Menge geschälter Tomaten, Gewürzen und frischem Basilikum. Selten zuvor hatte ich eine so appetitliche Pizza gesehen. Ich bestaunte sie. Meine Kollegen nahmen keine Notiz von mir. Also fing ich an zu essen. Auch Martin nahm sich ein Stück, der mir plötzlich gegenübersaß.
    »Jetzt kommen wir endlich weiter«, sagte er.
    Diese Lampe hatte ich noch nie gesehen. Und seit wann gab es hinter meinem Bett eine Holzwand? Ich schreckte hoch. Eine braune Wolldecke rutschte von meinem Oberkörper. Ich lag auf der Bank am Fenster, wo ich mit Klausi gesessen hatte. Die Kneipe war dunkel. Wie spät? Langsam beugte ich mich vor. Mein Kopf summte bestialisch. In meinem Mund schien kein Tropfen Speichel mehr zu sein. Vage dachte ich an den Pizzatraum.
    Ich hustete. Dann drehte ich mich zur Tür. Sie war abgeschlossen.
    Alex hatte mich eingesperrt. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich mich hingelegt hatte. Ich hob die Decke auf. Sie sah aus wie die in Graukes Schusterei.
    Mir blieb nichts anderes übrig als bis zum Morgen zu warten. Wann machte das Stüberl auf? Aus dem Kühlschrank holte ich mir eine Flasche Wasser und trank sie aus. Neben den Toiletten gab es einen Hinterausgang, der natürlich auch abgeschlossen war. Warum hatten sie mich nicht geweckt? Wieso war ich eingeschlafen? Dachten sie, einen Polizisten dürfe man allein zurücklassen? Er würde schon nichts klauen? Nicht randalieren? Ganz falsch. Der Mann vom Schlüsseldienst, den mir die Kollegen des Bereitschaftsdienstes organisiert hatten, war nach zwanzig Minuten da. Er hatte keine Mühe damit, das Schloss am Hintereingang zu knacken und anschließend wieder abzusperren.
    Für die Biere, die Schnäpse und das Telefongespräch legte ich Alex fünfzig Mark auf den Tresen. Durch den dämmernden Tag ging ich nach Hause. Getöse im Kopf, ein Zucken in den Beinen. In einem Raum zu sein, den ich nicht aus freien Stücken verlassen konnte, versetzte mich in blanke Panik.
    Immer wieder blieb ich stehen und atmete mit weit offenem Mund.

5
    A nders als Martin, der, wie er mir erzählte, um halb fünf nach Hause gekommen war und dann sechs Stunden geschlafen hatte, lag ich zwar schon um vier im Bett, konnte aber nicht einschlafen. Um halb sechs stand ich auf, zog mich an, ging den Weg, den ich aus dem Glockenbachviertel zwei Stunden zuvor in umgekehrter Richtung gegangen war, wieder zurück und setzte mich auf eine Bank am Isarhochufer. Ich schaute hinüber zum Fluss. Es dauerte nicht lang, bis die ersten Jogger auftauchten, die ersten Hunde, die ersten Hundebesitzer. Zwei grüne Kollegen verlangten meinen Ausweis. Danach entschuldigten sie sich. Wofür, war mir nicht klar. Ich saß da und übte Schweigen.
    Ich dachte an den Fluss. Isara rapidus. Flussnamen waren immer maskulin. In diesen Wochen war er grün, die Chemikalien hatten eine wunderbare Tarnfarbe. Das Baden war seit Jahren verboten. Im Sommer kamen die Flöße aus dem Oberland, voll beladen mit Gaudiburschen und Blaskapellen. An den Ufern

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