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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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einem Mädchen wie Bettsy anfangen sollte, wusste ich nicht. Oder mit Hindu. Ich redete mit ihnen und sie redeten mit mir. Wir benutzten dieselben Worte, aber wir verstanden uns nicht, weil wir zu weit voneinander entfernt waren. Sie hausten auf ihrem und ich auf meinem Planeten.
    »Du wartest hier!«, sagte ich und stieg aus. Hindu sprang auf der anderen Seite aus dem Taxi und wollte losspurten. Durchsichtiger Plan. Bevor er Luft holen konnte, schnitt ich ihm den Weg ab, packte ihn an der Schulter und schob ihn auf den Beifahrersitz.
    »Passen Sie bitte noch mal auf ihn auf!«, sagte ich zum Fahrer.
    Der Fahrer sagte: »Und was krieg ich dafür?«
    »Fünfzig Mark extra.«
    »Okay«, sagte er.
    Hindu schlug die Knie aneinander. Für einen zweiten Fluchtversuch war er definitiv zu feige. Im dritten Stock des alten Gebäudes an der Akademiestraße lag die Pension. Früher hatte ich öfter hier übernachtet, wenn mir die Wände in meiner Wohnung zu nahe kamen. Inzwischen quartierte ich mich in solchen Nächten in einer Pension ein, die nicht so weit entfernt lag wie diese.
    »Servus, Süden«, sagte Nielsen, der Pächter.
    Ich sagte: »Du vermietest immer noch an Junkies.«
    »Niemals!«
    »Silvio ist einer.«
    »Kenn ich nicht.«
    »Der Kerl, der mit dem Mädchen hier ist.«
    Nielsen bohrte in seinem Ohr. »Der ist schon wieder weg. Die Mädels sind noch da.«
    Er zeigte mir das Zimmer. Auf dem blassroten Teppich waren meine Schritte nicht zu hören. Die Garderobe, die Stühle, die Bilder, alles wirkte verstaubt. Doch die Zimmer waren sauber, auch die Bäder und Duschen, die sich auf dem Gang befanden. In den Zimmern gab es nur ein Waschbecken mit kaltem und warmem Wasser. Keine Bar, keinen Kühlschrank. Ohne anzuklopfen trat ich ein.
    Auf dem Bett saß ein Mädchen an die Wand gelehnt, die Decke bis zum Hals hochgezogen, mit aufgerissenen Augen. Neben dem Bett stand ein zweites Mädchen mit gelben Haaren und einem Ring in der Nase. Bettsy.
    »O nein!«, sagte sie. Ich schloss die Tür.
    »Wenn du näher kommst, spring ich aus dem Fenster, ich schwörs dir, ich spring raus!«
    Ich ging zu ihr. Und drückte sie an mich. Ich drückte sie so fest an mich, dass sie keine Chance hatte sich zu befreien. Nach einer Minute gab sie auf. Ich hielt sie fest. Ihr Rücken war weich, sie trug einen schwarzen Pullover und schwarze Jeans. Ihre Lederjacke lag auf dem Tisch. Ihre Haare rochen nach Sommer. Und nach einem merkwürdigen Farbstoff.
    So standen wir da, und das Mädchen auf dem Bett wagte nicht sich zu bewegen. Dann ließ ich Bettsy los.
    »Fang an«, sagte ich. Noch immer hielt ich ihre kalte Hand fest. Sie machte sich los, stieg aufs Bett und lehnte sich stehend an die Wand, neben ihre Freundin. Bettsy trug schwere Lederstiefel.
    Das Mädchen hieß Maja. Wie Bettsy war sie abgehauen und an Silvio geraten, der ihr versprach, das Kokain, das sie dringend brauchte, zu besorgen. Vorausgesetzt, sie schlief mit ihm. Bettsy hatte die beiden miteinander bekannt gemacht und darauf bestanden mitzukommen. Während die beiden dann im Bett waren, wartete sie vor der Tür. Maja ging in dieselbe Schule wie Bettsy. Ihren Eltern war es mehr oder weniger egal, wann sie nach Hause kam, Hauptsache, sie schwänzte nicht dauernd.
    Ich rief im Dezernat an und informierte Funkel. Er bestellte drei Zivilfahnder zum U-Bahnhof Giselastraße. Sie sollten Silvio, sowie er auftauchte, festnehmen. Verdacht auf Drogenhandel und schwere Körperverletzung. Die schnelle Nummer, die Maja erwartet hatte, hatte sich als Horrortrip entpuppt. Ich ließ sie ins Schwabinger Krankenhaus bringen, verständigte ihre Eltern, bezahlte den Taxifahrer und forderte ihn auf, Hindu zurück zum Stachus zu fahren.
    »Normalerweis fahr ich keine Fixer«, sagte er. Der Junge grinste mich durch die Heckscheibe an. Ich ging mit Bettsy zu Fuß. Die Ludwigstraße entlang zur Von-der-Tann und Prinzregentenstraße und rechts ab in den noblen Stadtteil Lehel. Dort wohnten ihre Eltern. In der Nähe des Wohnhauses war eine Trambahnhaltestelle.
    »Setz dich!«, sagte ich.
    Sie verzog den Mund und fläzte sich auf einen der blauen Gittersitze.
    »Diesmal gings schnell«, sagte ich.
    Sie sagte: »Man darf sich halt nie um andere kümmern, nur um sich selber.«
    »Erklär mir was«, sagte ich. Sie sagte: »Erklärs dir selber.«
    »Ich bin nie abgehauen.«
    »Du lügst!«, sagte sie. Sie hatte Recht.
    Sie hatte nur geraten. Aber sie hatte Recht. Ich war zehn gewesen. Und vier Tage

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