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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Männer kamen selten vorüber, und die wenigen beachteten uns nicht. Vor allem Frauen mit Kinderwagen taten so, als würden wir sie in bösartiger Absicht dazu zwingen, Slalom auf dem Gehsteig zu fahren. Dabei hatten sie genügend Platz. Und jedes Mal, wenn Alex ein frisches Bier und ein Mineralwasser brachte, sagte er: »Siehst du? Gleich hab ich die Bullen hier!«
    »Ich sitz doch schon da«, sagte ich. Neben mir saß Franticek Kellerer, zweiundsechzig Jahre alt, ehemaliger Postangestellter, jetzt im Ruhestand. Mit Maximilian Grauke hatte er früher Schafkopf gespielt, als er noch hier im Viertel wohnte und im Postamt an der Fraunhoferstraße arbeitete.
    Von Alex hatte er sich extra einen Bierdeckel geben lassen, den er auf sein Glas legte. Die Attacken trunksüchtiger Bienen hielten sich jedoch in Grenzen. Da Alex sich weigerte, seine normalen Holzstühle vor die Kneipe zu stellen, musste er auf meine Anweisung hin nach Klappstühlen suchen. Er fand drei verstaubte Exemplare und einen völlig ausgebleichten Liegestuhl. Diesen stellte ich parallel zur Hauswand, die Stühle daneben. Kellerer legte sich in den Liegestuhl. Immerhin war er der Rentner. Als Sonja um die Ecke kam und uns sah, lächelte sie. Wegen diesem Lächeln richtete sich sogar Kellerer ein Stück auf.
    Wir saßen in der Sonne. Der Wind fächelte uns die Stimmen vom nahen Kinderspielplatz zu. Manchmal winkte ein Radfahrer, manchmal beschwerte sich eine kinderwagensteuernde Mutter. Dann war es Minuten lang still. Nur die Vögel sangen. Sogar die Kinder waren verstummt.
    Ich wünschte, Martin wäre hier gewesen. Auch wenn die Gefahr bestand, dass er vor lauter Idylle erst einmal einen Enzian bestellt hätte.
    Ich wünschte, er wäre hier gewesen, damit er nicht allein sein musste an diesem sonnenvollen Julitag. Vermutlich saß er im Büro. Oder im Büro von jemandem, den er vernehmen musste. Auf jeden Fall in einem geschlossenen Raum.
    Und wir waren draußen. Dank Sonja.
    »Arbeiten wir?«, sagte sie.
    »Ja«, sagte ich.
    Dann tranken wir einen Schluck Mineralwasser aus unserem Halbliterglas, stellten die Gläser zwischen unsere Füße auf den Boden und holten beide wie abgesprochen unseren Notizblock aus der Tasche.
    »Ich hab Grete Holch nicht erreicht«, sagte Sonja. »Sie hat kein Telefon.«
    »Vielleicht ist sie nicht eingetragen.« Ich wollte nur kindisch sein.
    Sie schaute mich von der Seite an. Das war der K-111- Blick. Sogar wenn jemand unsichtbar war und unter der Erde lebte, würden die Kollegen von der Mordkommission herausfinden, ob er ein Telefon hatte oder nicht. Sie gaben niemals auf.
    »Dann fahren wir hin«, sagte ich. Die Mutter von Frau Grauke wohnte in der Hiltenspergerstraße in Schwabing.
    »Erzähl das noch mal, wie das war mit Grauke«, sagte ich zu Kellerer, der die Hände hinter dem Kopf verschränkt hatte.
    »Der ist depressiv«, sagte er, »der hockt da in seiner Schuhschachtel, und wenn er abends zu seiner Alten kommt, ist die Schwester da. Und die bleibt dann über Nacht da. Hat er mir gesagt. Die bleibt einfach da. Wir haben zu ihm gesagt, dann nimmst halt beide, das fand er nicht komisch. Ich glaub, der hat nicht mal seine Alte gehabt, Verzeihung, die Dame… Da ist nichts mehr gelaufen. Wir haben oft zu ihm gesagt, gönn dir was, trau dich was… Kannst vergessen bei dem. Der nagelt lieber seine Schuhe als eine Frau. Verzeihung…«
    Mit einem Stöhnen streckte er den Arm nach seinem Bierglas aus.
    »Sie können sich nicht vorstellen, dass er mit einer Frau durchgebrannt ist«, sagte Sonja.
    Kellerer drehte den Kopf. »Wirklich nicht, Frau Feyerabend!«
    Der Ausdruck gefiel mir: durchgebrannt. Ein Mann auf einem Pferd, eine Frau mit wehendem Haar, Nacht, Nebel, Wölfe heulen, jemand steht hinter dem Fenster und beobachtet heimlich das Geschehen, sieht die beiden, die durchbrennen…
    »Hallo!«, sagte Sonja. Ich öffnete die Augen.
    »Träumen Sie?«, sagte sie.
    »Ja.«
    Sie beugte sich vor, damit sie Kellerer besser sehen konnte. »Wussten Sie, dass die beiden Frauen Halbschwestern sind?«
    »Im Ernst?« Kellerer trank sein Bier aus, schaute sich um, stöhnte, stellte das Glas auf den Boden und ließ sich in den Liegestuhl fallen. »Das heißt, er hätt dann nicht mal ein schlechtes Gewissen haben müssen, der Maxi. Weil wenn die nicht richtig verwandt sind…«
    »Haben Paula und Max ein Verhältnis gehabt?«, sagte ich.
    »Das hätt er uns erzählt, aber sauber!«
    »Was wissen Sie noch über die beiden Frauen?«,

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