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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Namen.
    »Was wollen Sie denn?«, sagte Roberta ungeduldig. Mit einer schnellen Bewegung wischte sie mit der Hand über die Leinwand, ohne den Pinsel zu benutzen. Ich wartete an der Tür. Ich wusste nicht, ob es ihr recht wäre, wenn ich das unfertige Bild sah.
    »Sind Sie schüchtern?«, sagte sie.
    Ich ging zu ihr. Auf der Leinwand war ein Bergmassiv zu sehen, davor Wälder und Wiesen, die aussahen, als würden sie schweben. Das war bestimmt Absicht.
    »Kennen Sie einen Mann mit dem Namen Maximilian Grauke?«, sagte ich. Den Zeitungsartikel hatte ich mitgenommen und ich zog ihn jetzt aus der Tasche.
    »Natürlich«, sagte sie.
    Ich sagte: »Entschuldigung?«
    Vermutlich machte ich einen sehr unpolizeimäßigen Eindruck, denn Roberta lächelte, nickte mir zu, wischte an einem der hundert Lappen den Pinsel ab und stellte ihn in ein Wasserglas. Dann nahm sie einen anderen Lappen und rieb sich damit die Hände ab.
    »Warum fragen Sie mich das?«
    »Er wird von der Polizei gesucht, Mama«, sagte Veronika, »und letzte Woche hat er in der ›Sonne‹ gewohnt.«
    »Ach schade, dass du mir das nicht gesagt hast.«
    »Er hat einen falschen Namen benutzt«, sagte ich. Bevor ich noch länger mit der zerknitterten Zeitungsseite sinnlos herumfuchtelte, steckte ich sie wieder ein.
    »Wieso denn?«, sagte Roberta. Unter dem Tisch stand ein Kasten Mineralwasser, sie nahm eine Flasche heraus und trank. Anschließend zündete sie sich eine Zigarette an.
    »Meine erste heute«, sagte sie zu ihrer Tochter.
    »Herr Grauke wurde von seiner Frau als vermisst gemeldet«, sagte ich. »Wir haben ihn öffentlich suchen lassen und Ihre Tochter hat ihn in der Zeitung wiedererkannt.«
    »O je«, sagte Roberta. Sie stippte die Asche auf den rund um die Staffelei mit Zeitungen bedeckten Boden.
    »Haben Sie eine Erklärung für sein Verhalten?«, sagte ich.
    Sie sagte: »Damals wollte er sich umbringen.« Sie rauchte, betrachtete ihr Bild, ging zum Fenster. Sie ging gebückt und hinkte auf dem rechten Bein. »Das werden Sie wissen, Herr Süden.«
    »Nein.«
    »Dann sollten Sie ihn schnell finden.«
    »Warum wollte er sich damals umbringen? Wann war das? Vor sechs Jahren?«
    »Was für ein Jahr haben wir?«, sagte sie. »Ja, vor sechs Jahren. Er war hier, in diesem Zimmer, ich hab ihn mitgenommen, ich weiß sogar noch, wie alt er war. Dreiundfünfzig. Immer wieder hat er gesagt, er sei jetzt dreiundfünfzig und habe nie was gemerkt. Dreiundfünfzig. Er war am Ende. Das war ein Mann, der hatte seinen Glauben verloren. Ganz verloren.«
    »Seinen Glauben woran?«, fragte ich.
    Roberta aschte auf die Straße hinunter und freute sich darüber.
    »Mama!«, sagte Veronika.
    Roberta hustete, stützte sich mit einer Hand am Fensterbrett ab, legte den Kopf schief.
    »Hast du Schmerzen, Mama?«
    »Seinen Glauben an die Familie«, sagte Roberta. »An seine Frau, an sein Leben. Er war hierher gekommen, um sich aufzuhängen. Das Seil hatte er dabei, ich habs gesehen, er hats mir gezeigt, am Schluss, bevor ichs ihm weggenommen hab. Eine stabile Kordel, die hätt funktioniert.«
    »Er wollt sich in der Pension umbringen?«, sagte Veronika erschrocken.
    »Nein, nicht in der Pension. Drüben im Park. An einem Baum. Bei mir hat er sich nur vorbereitet… Er hat Kräfte gesammelt. Zum Glück hab ich mitgekriegt, was mit ihm los war.«
    »Warum ist er ausgerechnet in Ihre Pension gekommen?«, sagte ich.
    »Das weiß ich nicht, ich hab ihn gefragt, ich erinner mich genau, er wollts mir nicht sagen. Er hat mir auch nicht gesagt, warum er sich umbringen wollt, es hatte was mit seiner Frau und mit der Schwester seiner Frau zu tun, Halbschwester, stimmts?«
    »Ja.«
    »Halbschwester. Er hat immer nur gesagt, er sei dreiundfünfzig und habe nie was mitgekriegt. So blöd kann doch kein Mann sein, das waren seine Worte. So blöd kann doch kein Mann sein. Ich hab zu ihm gesagt, haben Sie eine Ahnung, wie blöd Männer sein können. Ich wollt ihn aufheitern. Aber er hat alles ernst genommen. Wahrscheinlich hatte er Recht, das, was da passiert war, musste er wohl ernst nehmen, todernst. Ich hab geredet und geredet, und dauernd hab ich dran gedacht, die Polizei anzurufen. Ich weiß gar nicht… Was macht die in so einem Fall? Kommt die und sperrt so einen Selbstmörder ein? Ist auch gefährlich. Nachher erhängt der sich in der Zelle. Ich hab mir eingeredet, ich krieg das selber hin. Und außerdem, sagte ich mir, meint er es nicht so, er ist einfach am Boden zerstört, er hat

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