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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sagte ich. Er rief: »Lüge!«
    Wir schwiegen. Jetzt hörte ich nichts mehr. Also war er doch nicht allein. Das war beruhigend. Vorübergehend. Dann nahm er die Hand vom Hörer.
    »Ich sag noch mal, es geht mir gut, ich will meine Ruhe und ersuche Sie, das zu respektieren, ich will das nicht, dass die Leute mich wieder erkennen.«
    »Rufen Sie bitte Ihre Frau an und sagen Sie ihr, dass es Ihnen gut geht.«
    »Das weiß die doch!«, rief er.
    »Woher weiß die das?«, sagte ich. Erika war hereingekommen, Thons Assistentin und zugleich Sekretärin der Vermisstenstelle. Mit Block und Bleistift setzte sie sich an meinen Schreibtisch und stenografierte jedes Wort mit. Ich lehnte an der Wand, das Telefonkabel reichte gerade so weit.
    »Ja, von mir!«, sagte Grauke. »Ich hab die doch angerufen!«
    »Wann, Herr Grauke?«
    »Ja, vorhin!«
    »Wann vorhin?«
    »Vor zehn Minuten.«
    »Ich würde gern mit Ihnen sprechen«, sagte ich, »für uns sind Sie ein offizieller Fall, Ihre Frau hat eine Vermisstenanzeige aufgegeben, und die müssen wir bearbeiten…«
    »Meine Frau hat die nicht aufgegeben, die nicht!«
    »Wer dann?« Er schwieg.
    »Ihre Frau war auf der Polizeiinspektion und hat die Anzeige persönlich aufgegeben, gemeinsam mit ihrer Schwester…«
    »Ja, genau!«
    »Was, genau, Herr Grauke? Ich will das alles nur wissen, Sie können tun, was Sie wollen. Auch das Geld, das Sie abgehoben haben, können Sie nach Belieben ausgeben, niemand kann Ihnen Vorschriften machen…«
    »Ja, genau!«
    »… Ich will nur wissen, wo Sie sind, und ich will mit Ihnen sprechen. Ich bin nicht verpflichtet, Ihrer Frau zu sagen, wo Sie sind. Und das mach ich auch nicht.«
    »Natürlich machen Sie das!«, sagte Grauke.
    »Nein«, sagte ich. »Warum haben Sie gesagt, Ihre Frau hat die Anzeige nicht aufgegeben? Wer dann?« Ich wartete einen Moment. »Paula?«
    Schweigen.
    Ich sagte: »Erinnern Sie sich an die ›Pension Sonne‹, an Roberta Lohss, die Wirtin?«
    Schweigen. Das Rauschen von Fahrzeugen. Und dann ein Klopfen. Ich hatte es deutlich gehört. Jemand stand vor der Telefonzelle. Konnte ein zufälliger Passant sein, der dringend telefonieren musste. Aber das glaubte ich nicht.
    »Frau Lohss hat mir erzählt, Sie waren vor sechs Jahren bei ihr und wollten sich im Park erhängen. Sie hat Sie davon abgehalten. Sie haben ihr von Ihrer Frau und Paula erzählt, Sie wollten sich wegen den beiden umbringen…«
    »Na und?«, stieß er hervor.
    »Ich will mit Ihnen sprechen, Herr Grauke«, sagte ich, »unter vier Augen, wir beide allein, wir treffen uns, ich hör Ihnen zu, niemand sonst. Ich sag niemandem, wo wir uns treffen, auch nicht Ihrer Frau, wenn Sie das wünschen. Machen wirs so?«
    »Nein«, sagte er. Wieder das Klopfen gegen die Scheibe.
    »Warum sind Sie einfach abgehauen?«
    Es kam mir vor, als würde er Luft holen. »Fragen Sie sie doch! Fragen Sie sie! So, und jetzt versprechen Sie mir, dass Sie mich nicht mehr suchen! Das war alles bloß Paulas Idee, mit dem Scheißfoto. Mit dem Scheißfoto!« Er wurde immer lauter. »Jetzt kann ich mich nirgends mehr sehen lassen. Ein Scheiß ist das. Aber egal. Zurückkomm ich nicht! So oder so!«
    »Kann ich kurz mit der Frau sprechen, die bei Ihnen ist?«, sagte ich. »Sie soll mir bestätigen, dass es Ihnen wirklich gut geht, Herr Grauke.«
    »Nein!«, sagte er und hängte ein. Mit erhobenem Bleistift sah Erika mich an. Mich interessierte, ob Lotte Grauke mittlerweile im Dezernat angerufen hatte.
    »Warum haben Sie uns nicht Bescheid gesagt?« Ich hatte bei ihr angerufen.
    »Das wollt ich gerade tun«, sagte sie.
    »War das die Idee Ihrer Schwester, eine Vermisstenanzeige aufzugeben?«
    Sie antwortete nicht.
    Ich sagte: »Bleiben Sie bitte zu Hause!«
    Während ich meine Lederjacke anzog, Martin beauftragte, mit Paula Trautwein einen Termin zu vereinbaren, und Andy Krust, zur Baustelle in der Staudinger Straße zu fahren und die Arbeiter zu fragen, ob sie die ominöse Cousine eventuell bemerkt hatten, rief mich Thon in sein Büro.
    »Es geht noch mal um gestern Abend«, sagte er und zündete sich ein Zigarillo an. »Ich möchte, dass du mein Privatleben von der Arbeit trennst. Noch dazu bei Lappalien wie gestern.«
    Ich schwieg.
    Er starrte mich an. Und ich schwieg weiter. Das konnte er am wenigsten ertragen.
    »Der Mann hat sich gemeldet, er ist wohlauf, wir können die Suche abbrechen. Wir haben noch vier andere Fälle, bei denen wir nicht weiterkommen und viel eher befürchten müssen,

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