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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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waren, dauerte es noch einen ganzen Monat, bis sich die Tore dieser verschlossenen, abweisenden Festung von einem Fall für uns öffneten.

11
    E r saß beim Frühstück in einem Kellerlokal am Sendlinger Tor, hörte einem Mann zu, der ihm erklärte, dass der Dritte Weltkrieg längst begonnen habe und wir alle Mitläufer und Täter und verantwortlich für das Ende der Welt seien, und rauchte. Und frühstückte: helles Bier und ein schwarzes Getränk, das nicht so aussah, als tummelten sich darin Vitamine oder Zerealien .
    »Was ist das?«, fragte ich ihn.
    »Frühstück«, sagte Martin Heuer.
    Der lange Atem des Mannes in der Nische am Nebentisch wehte zielstrebig zu uns herüber. »… Und die Araber dann werden von den Asiaten abgeschlachtet und dann … dann kommen sofort die Afrikaner, sofort. Und dann … dann ist lang nichts. Evolution im Wartestand .
    Und dann … dann kommen wir wieder, möglicherweise … eher nicht. Jetzt hätten wir noch eine Chance, jetzt.«
    Magnetisch floss das Weizenbier aus seinem Glas, das sich in seine Hand schmiegte, in ihn hinein. »Aber wir wollen nicht leben … wir wollen die Vernichtung. Weil wir uns aufgegeben haben … Was wir uns von der Politik gefallen lassen, das glaubt uns später niemand. Wenn sie die gebunkerten Videos finden, die Außerirdischen … Wenn der Marsmann kommt … Kein Gott wird uns das je verzeihen … Da lachst du …«
    Ich sagte: »Ich lache nicht.«
    Missmutig stimmte er schließlich in mein Schweigen ein, wandte sich ab und starrte zum Winkel an der Decke hinauf, wo kein geschnitzter Heiland hing. An den dunklen Tischen saßen vereinzelt Gäste, ein älteres Paar, sonst nur Männer, gekrümmte Gestalten, die in dem großen verwinkelten Raum kaum auffielen. Es war nach drei Uhr morgens.
     
    Am Nachmittag hatte ich Martin am Telefon erreicht, aber er war nicht bereit gewesen, mit mir zu sprechen .
    Wahrscheinlich, meinte er, würde er am Abend in das Gasthaus am Sendlinger Tor gehen, weil er dort schon lang nicht mehr gewesen sei. Ich fragte ihn, wie es ihm gehe, und er erwiderte: »Schlecht.« Und das war alles, was er zu seinem momentanen Zustand zu sagen hatte .
    Abends tippte ich im Büro, das nur eine U-Bahnstation von dem Lokal entfernt lag, meine Aufzeichnungen ab, telefonierte noch einmal mit dem Leiter der Einsatztruppe, die den Sonntag über mit einem Suchhund an den Isarufern unterwegs gewesen war, jedoch ohne Erfolg .
    Zurzeit, sagte der Kollege, führe die Isar eine Menge Schmelzwasser aus den Bergen, an einigen Stellen sei der Fluss daher ungewöhnlich tief. Allerdings wäre die Leiche, falls Babette Halmar ertrunken war, spätestens am Stauwehr in Oberföhring entdeckt worden .
    Wie die grüne Reisetasche unter die Reichenbachbrücke gelangt war, wussten wir nicht. Fest stand immerhin, dass es jene war, die die alte Frau bei sich trug, als sie Ismaning am vierundzwanzigsten März verlassen hatte .
    Sowohl der griechische Ladeninhaber am S-Bahnhof als auch Konstantin Gabelsberger identifizierten die Tasche eindeutig, beide erinnerten sich an die kleine grüne Schleife am Reißverschluss der Außentasche, ein zehn Zentimeter langes Stück Kräuselband .
    Und Ibrahim Söruk erinnerte sich ebenfalls daran.
     
    »Ich mach keinen Urlaub«, sagte Martin Heuer zum vierten Mal. »Ich bin krank geschrieben bis Ende nächster Woche. Ich hab einen grippalen Infekt.«
    »Nein«, sagte ich. Das Bier schmeckte mir nicht. Aber ich wollte nicht so tun, als wäre ich nur gekommen, um ihn zu belehren, auf ihn einzureden, ihn zu maßregeln .
    Also stieß ich mit meinem Glas gegen seines, sagte:
    »Möge es nützen!« und trank und schaute ihn an und schaute an ihm vorbei in den verdunkelten Teil der Gaststube, aus dem die Bedienung gelegentlich auftauchte .
    Weswegen hatte ich sonst die Zeit an meinem Schreibtisch abgesessen, die Berichte über die Befragung von Emmi Bregenz und Maria Seberg wieder und wieder gelesen, dazu Söruks Aussage, und seitenweise Protokolle durchgeblättert, wenn nicht, um hernach meinem besten Freund ins Gewissen zu reden?
    Was für ein lächerlicher Gedanke. Was für ein Selbstbetrug.
    Noch nie in all den Jahren unserer Freundschaft, die uns mehr oder weniger seit unserem ersten Geburtstag verband, hatte er, was seine körperliche und seelische Verfassung betraf, einen Rat von mir befolgt. Meist hatte er nach ein paar Worten abgewinkt, das eine oder andere Mal hatte er mich einfach stehen lassen und sich danach tagelang nicht

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