Süden und der glückliche Winkel
überzeugt gewesen, Nero könne mir bei der Suche helfen. Aber wieso denn?, fragte Annegret Marin, und ich erwiderte, weil er als Einziger Cölestin Korbinian auf dessen geheimen Wegen begleitet habe. Er war hier im Karree!, sagte sie, das war doch nicht geheim, ein Haufen Leute sind ihnen begegnet! Ich habe niemanden getroffen, der die beiden gesehen hat, sagte ich.
Dann hätte ich die verkehrten Leute gefragt! – Kann sein, sagte ich.
Dann fragte ich Nero mehrmals, ob er Lust habe mit mir spazieren zu gehen, und als ich die Leine am Halsband befestigte, erhob er sich mit zittrigen Beinen, verharrte auf der Decke, ich zog behutsam an der Leine, und er bewegte sich ruckelnd durchs Zimmer.
Das gibts doch gar nicht!, sagte Annegret Marin. Ich winkte ihr zu und öffnete die Tür. Nehmen Sie einen Schlüssel mit, ich muss jetzt weg!, rief Annegret und kam hinter uns her.
Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Hund Gassi geführt.
Und jetzt ließ ich mich von einem blinden Hund führen. Dankbar erzählte ich ihm unterwegs die Geschichte vom blöden Hund, den jeder im Dorf so genannt hatte. Und er war blöde, auch wenn sein Besitzer, der hinkende Herr Pankratz, sich sein ganzes Leben lang darüber empörte. Rummel, so hieß der Dackel mit dem grauen Fell, das Herr Pankratz als silbern bezeichnete, verliebte sich in Mischa, die keine Hündin war, sondern eine verwegene, Vögel, Mäuse und Hühner jagende Katze. Und sie brauchte nicht lange, um zu merken, dass der Hund des Nachbarn hinter ihr her war, vom Herzen als auch von den Beinen her. Leider verbrachte Mischa einen Großteil des Tages auf Apfel und Birnbäumen, und weil die Liebe ihn trieb, kletterte Rummel ihr hinterher. Sie lockte ihn immer höher hinter sich her, bis er entweder aufgab und mit waghalsigen Verrenkungen den Rückzug zum Boden antrat oder anfing zu kläffen. Dann kläffte er so lange, bis jemand zu ihm hinaufkletterte, ihn in den Arm nahm und mit übertriebener Sanftmut in der Wiese absetzte.
Dann aber war Mischa längst verschwunden, und aus Rummels Augen sprach eine solche Traurigkeit, dass man dachte, er fange jeden Moment an zu weinen.
Den ganzen Sommer über verfolgte er seine Geliebte, manchmal durfte er sie sogar beschnuppern, und sie tätschelte mit der Tatze sein Gesicht. Sie tollten durchs hohe Gras, und Herr Pankratz erzählte jedem, auch dem, der es nicht hören wollte, was für ein außergewöhnlicher, einmaliger Hund sein Rummel sei.
Martin und ich und die meisten anderen Kinder hielten Rummel für blöde, und als er an jenem Oktobernachmittag, an dem es unerwartet begonnen hatte zu schneien, vom Baum fiel, fühlten wir uns in unserer Einschätzung vollkommen bestätigt. Wieder war dieser kurzbeinige, übergewichtige geile Hund seinem Lustobjekt hinterhergekraxelt, und zwar höher als je zuvor, und weil es immer heftiger schneite und die Äste und Zweige nass und glitschig waren, verlor er nicht nur die Orientierung, sondern auch den Halt und blieb, bevor er vor unseren Füßen im Schneebett landete, mehrmals im Fallen hängen, schlug mit dem Kopf gegen den harten Stamm und drehte unheimliche Pirouetten.
Den blutenden und winselnden Dackel brachten wir zu Herrn Pankratz, der ihn in eine Decke wickelte und in seinem rachitischen Opel zum Tierarzt in die Kreisstadt fuhr. Rummel kehrte als dreibeiniges Wrack nach Taging zurück, sein viertes Bein bestand nur noch aus einem Stumpen.
Und er kläffte nicht mehr und schien Mischa vergessen zu haben oder nicht wiederzuerkennen. Sie kam ihn besuchen und tätschelte sein Gesicht, er hätte sie beschnuppern dürfen, doch er lag bloß in seinem Korb und gab ein leises Stöhnen von sich und wurde, weil er sich kaum noch bewegte, immer dicker.
Im nächsten Frühjahr, kurz nachdem der Bauer Erpmaier, dessen Grundstück an das Haus des Herrn Pankratz grenzte, zum ersten Mal seine Wiesen gemäht hatte, war Rummel verschwunden. Vor allem wir Kinder suchten tagelang nach ihm, in Geräteschuppen und Ställen, in Kellern, im Unterholz, in den Wäldern oberhalb des Sees und auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs. Dem Finder hatte Herr Pankratz eine Belohnung von zweihundert Mark versprochen. Das Geld bekam weder Martin noch ich, obwohl wir am eifrigsten von allen fahndeten, sondern die verhutzelte Irma, die Rummel an einem Ort entdeckte, an dem wir aus blanker Todesangst niemals nachgesehen hätten: in einem der beiden neuen Silos auf dem Erpmaierhof.
Irma hatte schon für den alten Erpmaier
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