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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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eine Freundin ins Krankenhaus begleiten, die zusammengebrochen ist. Hitzeschock oder so. Ist wohl nicht so schlimm.«
    »Wie alt ist Ihre Tochter?«
    »Zwanzig, sie studiert und jobbt nebenher in einem Hospiz. Ich find das, ehrlich gesagt, einen ziemlich harten Job, aber sie wollte ausdrücklich da hin. Ist ja auch sehr verantwortungsbewusst.«
    »Studiert sie Kunstgeschichte?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe geraten«, sagte ich.
    Sie richtete sich auf und betrachtete mich kritisch. Ich schwieg.
    Die Haare klebten an meinem Kopf, das Hemd klebte an meinem Körper, die schwarze Lederhose klebte an meinen Beinen, und ich klebte am Rasen.
    »Hat er jetzt eine Freundin, der Cölestin?«, sagte Silvana Horch.
    »Er hat eine Bekannte, die ihn aber auch seit Tagen nicht gesehen hat.«
    »Dann hat er meinem Mann also doch keinen Unsinn erzählt. Ich hab das nämlich nicht geglaubt, als er mir gesagt hat, der Cölestin hätt eine Geliebte.«
    »Er hat keine Geliebte«, sagte ich. »Er hat eine Bekannte.«
    »Sie wollen nur nicht alles verraten«, sagte Silvana Horch und wandte sich von mir ab.
    »Kennt Ihre Tochter Herrn Korbinian?«
    »Sie war mal beim Essen mit dabei. Sonst hat sie ihn, glaub ich, nie getroffen. Woher haben Sie gewusst, dass Sie Kunstgeschichte studiert. Ich bezweifle, dass Sie das nur geraten haben.«
    »Ich war heute in einer Ausstellung«, sagte ich. »Es war nur so eine Bemerkung.«
    »In welcher Ausstellung waren Sie?«
    »Spitzweg«, sagte ich. »Im Haus der Kunst.«
    »Davon hab ich gehört, die soll interessant sein, der ›Arme Poet‹ ist aber nicht dabei. Stimmt das?«
    »Ja«, sagte ich, obwohl ich es nicht wusste. »Sagen Sie mir, Frau Horch, was Sie über Cölestin Korbinian denken.
    Was ist das Ihrer Einschätzung nach für ein Mann, abgesehen davon, dass er ein Eigenbrötler ist.«
    Nach einer Weile sagte sie: »Ich möcht nichts Schlechtes über ihn sagen, ehrlich nicht, er ist ein Freund meines Mannes, ein guter Bekannter, sie kennen sich schon lang.
    Gemeinsam Tischtennis haben sie aber noch nie gespielt, ich kann mir nicht vorstellen, dass Cölestin überhaupt Sport treibt. Das ist komisch, irgendwie kennen wir ihn seit vielen Jahren, und wenn wir uns dann mal sehen, ist es, als würden wir uns zum ersten Mal treffen, ich weiß gar nichts über die beiden, über seine Frau auch nicht, sie arbeitet halbtags in einem Kindergarten, sie hilft da und dort aus, sie geht also schon unter Leute. Aber wenn Magnus von Cölestin erzählt, heißt es immer: Er war das ganze Wochenende zu Hause, er war den ganzen Urlaub zu Hause, er ist bei seiner Frau, sie haben einen Ausflug in den Westpark gemacht, sonst nichts. Da passiert sonst nichts. Geht mich auch nichts an. Ich sag das nur, weil Sie danach fragen. Wie soll ich den Cölestin beschreiben? Freundlich, auf jeden Fall, höflich, nett, und die Kunden lieben ihn, der hat richtige Fans, wie mein Mann immer sagt, Leute, die sich nur von ihm bedienen lassen. Im Viertel kennen ihn auch alle. Er ist da sogar, glaub ich, aufgewachsen. Er hat keine Hobbys, er verreist nicht gern. Keine Kinder. Seit dreißig Jahren verheiratet. Ein Postbeamter mit Leib und Seele. Mehr wüsst ich jetzt nicht über ihn zu sagen.«
    »Mögen Sie ihn?«, sagte ich.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Wie gesagt, wir laden die beiden manchmal zum Essen ein, meinem Mann ist das irgendwie wichtig.«
    »Ich würde gern mit Ihrer Tochter sprechen«, sagte ich.
    »Warum?«
    »Sie ist Cölestin Korbinian immerhin ein Mal begegnet.«
    »Aber sie weiß nichts über ihn!«, sagte Silvana Horch mit Nachdruck.
    Ich sagte: »Da ist sie nicht die Einzige.«
    Nahezu gegrillt ging ich kurz darauf an dem Genossenschaftsgebäude mit den blauen Fensterläden vorbei, in dem die Horchs wohnten, und es kam mir vor, als hätte die Sonne sämtliche Schatten gewissenhaft vor mir versteckt. Und mein Dienstwagen, der in der Achentalstraße stand, hatte sich mittlerweile in einen Hochofen verwandelt.
    Mit einem Mal war es dunkel geworden. Wir standen beide am Fenster des gelben Zimmers und warteten auf die erste Explosion der Luft in unserer Nähe. Bei geschlossenem Fenster hörten wir den Wind kaum, wir sahen, wie die Zweige der Linde hin und her schlugen, die grünen Blätter flatterten wild, und Staubschwaden wirbelten über den Innenhof. Seit ich in meine Wohnung gekommen war, hatten Martin Heuer und ich kein Wort gewechselt. Als ich das Zimmer betrat, stand er schon am Fenster, mit dem Rücken

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