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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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zur Tür, barfuß, reglos.
    Und dann zerriss eine elektrische Helligkeit das graue, träge Abendlicht, und vom gewaltigen Donner erzitterte die Scheibe. Seine Wucht übertrug sich auf uns, und unwillkürlich wichen wir mit dem Oberkörper zurück, als fürchteten wir, das Glas könne splittern. Innerhalb von ein paar Sekunden stürzte harter, von Hagelkörnern durchsetzter Regen herab, zum zweiten Mal in dieser Woche.
    Wir rührten uns nicht von der Stelle. Schon beim nächsten Schlag hatten wir uns an den Donner gewöhnt und reagierten nicht mehr. Als es aufhörte zu regnen, abrupt wie es begonnen hatte, ging Martin in das kleine Zimmer, in dem er fünf Tage übernachtet hatte, und holte seine blaue Sporttasche.
    An der Tür sagte er: »Jetzt ist es besser.«
    Aber ich wusste, der Kerl mit den gestohlenen Unterhosen schoss immer noch auf ihn.
    Jede Nacht hatten wir miteinander gesprochen, waren in anderen Zeiten eingekehrt wie in Gasthäusern, deren Tische nur für uns reserviert waren, begegneten Martins Eltern und meinen Zieheltern, verweilten unter einem Baldachin aus Sommer und Selbstversessenheit. Außer uns existierten nur Schatten, gegenseitig übertrumpften wir uns in heldenhaften Posen und Taten, und als Beweis für unsere Einmaligkeit reichte uns ein Blick in jeden Spiegel, ob in Häusern oder an Autos, in jedes Schaufenster und jede Pfütze und am Ende in den unbestechlichen See. Schau, das bin ich, dich sieht man gar nicht richtig!
    Tagsüber arbeitete ich weiter an der Vermissung des Cölestin Korbinian, und mit jeder Abenddämmerung erkannte ich ihn weniger. Dabei war er da, nah wie Martin.
    Doch wie diesen ließ ich den Postmann von der Feuerwache wieder und wieder weggehen, als wäre ich ein Fahnder, der im Fach Wundenkunde immer bloß abwesend aus dem Fenster gesehen hatte.

10
    I ch war, bevor ich Silvana Horch angetroffen hatte, weil ich noch einmal an einem ruhigen Ort mit ihrem Mann sprechen wollte, vor allem über dessen wahre Vermutungen, was Korbinians ominöse Freundin, wie er sie betont genannt hatte, betraf, nur kurz in der Spitzwegausstellung gewesen, etwa eine halbe Stunde. Was mir, der ich als einzigen Maler van Gogh bewunderte – wegen seiner Bilder natürlich, von denen ich bis dahin nur zwei oder drei im Original kannte, aber nicht weniger wegen seiner Briefe, in denen ich regelmäßig Zuflucht suchte – und der ich mir ansonsten kaum Zeit für bildende Kunst nahm, als Erstes auffiel, war die Stille, die von Spitzwegs Bildern ausging, nicht nur bei den Landschaftsmotiven.
    Es kam mir vor, als würden die Menschen – Priester, Wäscherin, Bauernmädchen oder verschrobene Wissenschaftler – in einer Welt aus lautloser Geborgenheit ihre Gewohnheiten pflegen und ihre Tätigkeiten in der immer gleichen, geordneten Weise verrichten. Sogar das nächtliche Ständchen, das ein Septett einer Frau an einem fernen, rötlich erleuchteten Fenster darbringt, erschüttert die türkise Stille rund um den Bonifatiusbrunnen nicht.
    Vielleicht haben die Herren ihr Spiel und der Galan im blauen Cape seinen Gesang bereits beendet, vielleicht beginnen sie erst damit, im Augenblick, in dem sich der Vorhang hebt, herrscht jedenfalls stumme Übereinkunft zwischen den Personen und den Dingen. Und es erschien mir unvorstellbar, dass im Turm von St. Peter, der verschattet im Hintergrund aufragt, plötzlich die Glocken schlagen könnten, obwohl ein winziger Schimmer, im gleichen Orangerot wie der hinter der dunklen Frauensilhouette, von jemandem, der möglicherweise in genau zehn Minuten am Seil ziehen muss, kündet. Aber so weit ist es noch lange nicht, vorher wird der Vorhang wieder fallen, und wir nähern uns wie auf Zehenspitzen dem nächsten Gemälde.
    Und dann bemerkte ich das Licht. Es dringt vor bis in die niedrigsten, verschachteltsten Stuben, in gewundene, von Steinmauern erdrückte Gassen ebenso wie in Höhlen und Schluchten, es kommt wie aus dem Nichts oder dem Himmel, es legt die Röte auf den Wangen schüchterner Frauen bloß und die Traurigkeit in den Augen verwelkter Männer, es umspielt Spaziergänger und ausgelassen herumtobende Kinder, es zelebriert die Ornamente der lebendigen Natur und zeichnet die Risse der Stadtmauern nach, es modelliert die Schatten der Einsamen in ihren Erkerzimmern und erfüllt das Treiben auf den Marktplätzen mit Heiterkeit, es weitet den Blick und strömt wie eine ewige Zuversicht durch alles Geschehen.
    Und dieses Licht reicht bis in eine andere Zeit, bis zu der

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