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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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was.«
    Abrupt stand er auf. Er wankte ein wenig und zeigte auf die verschlossene Tür, hinter der er das Bier geholt hatte.
    Ich stand auf und folgte ihm, und er öffnete die Tür, und durch ein schmales Fenster fiel Morgenlicht auf eine Galerie gerahmter Gemälde. Sie hingen in einer Küche, in der nichts als ein weißer bauchiger Kühlschrank stand.
    Keine Spüle, keine Schränke. An den gegenüberliegenden Wänden hing ein Bild neben dem anderen. Als ich näher trat, sah ich, dass es sich um Kopien in billigen Rahmen handelte.
    »Lassen Sie sich Zeit«, sagte Korbinian und verließ den nach Zement riechenden Raum.
    Auf den Marktplatz fährt eine Postkutsche, gezogen von drei Schimmeln, eine Frau in einem indigofarbenen Kleid unterbricht fürs Hinschauen das Lesen in einem Brevier.
    Eremiten, Eigenbrötler, Mönche in Klöstern, über deren Türen steht: »Gut lebt, wer im Verborgenen lebt«. Soldaten, krieglose Zeitverschwender in der freien Natur, gähnend, lesend, strickend. Höhlen, Schluchten, Berge, Ebenen und die unauffälligen Winkel der Stadt. Männer mit Gesichtern aus Staunen und Verwirrtheit, linkische Männer, denen das Überreichen eines Blumenstraußes äußerste Disziplin abverlangt, ihre Bewegungen scheinen noch nachzuzittern von stundenlangen, immer wieder abgebrochenen heimlichen Versuchen, und jetzt, da der Ernstfall eintritt und sie handeln müssen, wirken sie, als hätte ihnen das Probieren eigentlich genügt, als verliere das Glück ihrer Vorstellung im Moment der Wirklichkeit an Schönheit und Bedeutung. Doch auch auf die unbeholfensten Männer, auf die Stubenhocker mit ihren verschrumpelten Schatten, auf die langnasigen Bücherverschlinger und die Fensterangler mit ihren Zettelködern, auf die gebeugten Gedankenschlepper, die Steineleser und die Schmetterlingsphantasten, auf alle, die da horchen an den Wänden zur Welt, warten in Gärten, Kabinetten und Lauben, anmutige, ernsthaft dreinblickende Frauen mit einer Aura von Geduld und Nachsicht und einem noch ungeöffneten Lächeln auf den Lippen, Licht fällt auf sie und verleiht ihrer Nähe Dauer. Das Leben, es ist groß in jeder krummen Gasse, und das Weinen der Einsamen endet beim Besuch einer Amsel auf dem Fensterbrett und dem Schwirren einer Libelle vor dem Erker und dem Schlagen der Glocken im Turm des heiligen Peter.
    Erschrocken über die lauten Glockenschläge wandte ich mich um und machte einen Schritt auf das Geländer zu und sah hinunter auf den fast menschenleeren Viktualienmarkt.
    An einer der Buden nahe der Frauenstraße stand ein Mann in einem blauen Hemd, mit einem Hut auf dem Kopf, und trank etwas.
    Niemand außer mir war um diese frühe Zeit auf dem Turm von St. Peter. Ein warmer Wind wehte und trug den Klang der Glocken über die Dächer.
    Als es still war, ging ich ins Innere des Turms und wollte gerade die Treppe hinuntersteigen, da fiel mir in der Nische nebenan ein dunkler Gegenstand auf. Er lag auf der Eckbank. Es war ein blaugraues abgeschabtes Fernglas der Marke Jenoptik. Noch einmal trat ich auf die Aussichtsgalerie hinaus, stellte das Fernglas ein und hielt es mir vor die Augen. Der Mann im hellblauen Hemd und mit dem Strohhut war Cölestin Korbinian. Zum Kaffee aß er eine Breze.
    Scheinbar mühelos brachte ich die vierzehn Etagen hinter mich. In einer Biegung sah ich ein Gitter offen stehen, aber das ging mich nichts an. Draußen sperrte der schielende Mann gerade die Tür zum Kassenhäuschen auf. Ich überquerte die Straße, die den Markt vom Petersplatz trennte, und stellte mich neben den Brunnen der Volksschauspielerin, die den Vorübereilenden aus der »Heiligen Nacht« von Thoma vorlas, als Wegzehrung in abgedunkelten Gegenden.
    In diesem Augenblick zweifelte ich nicht daran, dass ich, vor wie vielen Stunden auch immer, in einem Bild von Carl Spitzweg verschwunden und erst vor ein paar Minuten wieder herausgetreten war. Eine andere Erklärung gab es für mein Hiersein um zwanzig Minuten nach sechs Uhr am Morgen dieses zweiten August nicht. Die meisten Händler hatten ihre Stände bereits geöffnet, einige luden noch Gemüse und Fleisch von ihren Lieferwagen ab.
    »Guten Morgen, Herr Korbinian«, sagte ich und stellte meine Kaffeetasse auf die hölzerne Ablage von »Karnolls Back und Kaffeestandl«, wo es nach Brot und frischen Brezen roch.
    Er nickte mir zu und trank und sah mich über den Rand der Tasse an.
    Ich zeigte ihm das Fernglas. »Gehört das Ihnen?«
    »Nein«, sagte er.
    »Dann behalte ich es«,

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