Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
nicht, und er sah ebenfalls hin.
Der Fahrer stieg aus und blieb an der Tür stehen. »Moing, moing!«, rief er. »Habich, LKA. Servus, Kollegen! Ausgeschlafen?«
»Scheiße!«, sagte Niko. Und weil er sonst kein Wort zustande brachte, wiederholte er den Fluch dreimal und spuckte auf den Boden. Sicher galt seine Verachtung ausschließlich der Anwesenheit des Fahnders. An die Möglichkeit, observiert worden zu sein, dachte er nicht .
Grinsend warf er Martin und mir einen verächtlichen Blick zu, formte mit Zeigefinger und Daumen eine Pistole, hielt die Hand dann flach, blies Sissi einen Kuss zu und schlurfte in Richtung Dorf davon .
»Aha«, sagte Sissi.
»Das ist nicht gut«, sagte Martin leise .
Habich – ovales Gesicht, dunkle Augen, kurze, angegraute schwarze Haare, Bluejeans, schwarzes Sweatshirt, Sneakers ohne Socken – kam über die Straße. Er gab erst Martin und mir, dann Sissi die Hand und schien guter Laune zu sein.
»Vor zwei Stunden riefen die Kollegen an«, sagte Habich und rieb sich die Hände und blickte schnell zum Himmel . »Krapp sei immer noch nicht zu Hause, also haben wir mal nachgesehen. Wo soll er auch hin?«
»Ihr seid zu sechst«, sagte ich.
»Die Kollegen drin haben euch erkannt, Sie zumindest, Kollege Süden.« Sein Gesicht wirkte wie von einem hellen Schimmer durchdrungen, als trage er ein persönliches Morgenrot spazieren. »Die waren ganz schön irritiert. Wir mussten selbstverständlich Marienfeld in Kenntnis setzen, er lässt grüßen und ist für jede Unterstützung dankbar. Im Moment hat er zur Abwechslung einen gewissen Optimismus, wir haben eine neue Festnahme …« Mit einem Blick auf die Wirtin hörte er abrupt auf zu sprechen. »Interne Dinge, auch wenn die Zeitungen heut darüber schreiben werden.«
»Ich hab eh was Besseres vor«, sagte Sissi und schlug den Kragen ihrer Bluse hoch. »Vergiss nicht, deinen Autoschlüssel abzuholen!«, sagte sie zu Martin .
»Du kannst ihn mir geben«, sagte er. »Die Kollegen nehmen uns mit.«
»Versteht sich von selbst«, sagte Habich munter .
Wir betrachteten uns. Er sah aus wie ein Urlaubsheimkehrer, ich wie der klassische Kneipenheimkehrer: Augenringe bis zum Bauchnabel und eine Fahne bis auf die andere Straßenseite.
Sissi hielt Martin seinen Schlüssel hin und mir, nachdem er ihn eingesteckt hatte, die offene Hand. Ich legte Nikos Schlüssel darauf.
»Gutnacht!«, sagte Sissi. Bevor wir etwas erwidern konnten, schloss sie die Tür und verriegelte sie von innen .
»Was macht ihr eigentlich hier?«, sagte Habich .
»Rein privat«, sagte Martin. »Wir besuchen unsere Eltern.«
Ganz überzeugte Habich die Erklärung nicht, aber er fragte nicht weiter .
»Das Fenster an Nikos Auto ist noch offen«, sagte ich.
»Die Kiste klaut keiner«, sagte Martin .
»Wo sollen wir euch hinbringen?«, sagte Habich .
»Hotel Koglhof, am Bahnhof«, sagte Martin. Ich sagte: »Wen habt ihr festgenommen?«
»Einen Mann in einem schwarzen Mantel, so wie das Mädchen ihn gezeichnet hat«, sagte Habich und blickte nach rechts und links, bevor er über die verlassene Straße ging. »Wir haben gestern Mittag einen Tipp gekriegt. Aus Taging! Angeblich hat sich der Mann vor einem Jahr auch schon hier rumgetrieben. Ein Landstreicher … Das ist der Kollege Ferneck.«
Der Mann auf dem Beifahrersitz telefonierte und hob grüßend die Hand .
»Ein Landstreicher«, sagte ich.
»Nennt sich Bogdan«, sagte Habich. »Keine Papiere, er behauptet, er lebt in München, in Taging wär er rein zufällig, er hätt sich betrunken in einen Zug gesetzt und wär dann hier gelandet. Einen Fahrschein hatte er, aber keine Papiere. Wir haben ihn am See aufgegriffen, da, wo das Mädchen verschwunden ist.«
Reglos stand ich neben dem BMW und schwieg. Und rannte durch tausend Gedanken wie durch ein dorniges Labyrinth.
»Kommen Sie, Kollege!«
Ich hatte nicht bemerkt, dass Martin schon eingestiegen war.
»Ich gehe lieber«, sagte ich. Dann beugte ich mich hinunter. »Grüß deine Eltern von mir.«
Martin nickte auf der Rückbank, abwesend, grau vor Alkohol und Nikotin, mit zugeknöpfter Jacke, die Hände in den Taschen.
»Wo ist Bogdan?«, fragte ich Habich .
»In der Zentrale, bei Marienfeld und den Kollegen. Dass wir die Presse nicht verhindern konnten, ist natürlich Mist. Keine Ahnung, wie die das mitgekriegt haben. Das ist immer wieder dasselbe: Wenn mehr als vier Leute was wissen, wissen es bald auch vierzig oder vierhundert – oder vierhunderttausend,
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