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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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niemandem, was er macht. Das hat er immer gesagt: Das schadet doch nicht. Das schadet doch nicht. Doch…« Sie blinzelte und wischte sich mit der rechten Hand übers Gesicht. »Mir hat es geschadet, all die Jahre, ich war… ich war…«
    Sie redete schneller und merkte es nicht.
    »Ich war sechzehn und er… er war einundzwanzig, da haben wir uns kennen gelernt und wir sind zusammen geblieben all die Jahre… Er… er hatte andere Freundinnen, Frauen… Er ist fremdgegangen, aber dann… dann kam er immer wieder zurück, und ich hab ihn aufgenommen. Und wir sind zusammengezogen. Und wir haben zusammen gelebt. Und das hat funktioniert. Er hatte Engagements, er hat in Theatern gespielt, in Schwabing, am Theater 44, am Studiotheater, an anderen freien Bühnen, zwischendrin mal eine Saison in Nürnberg und in Stuttgart, auch kleinere Rollen im Fernsehen wurden ihm angeboten. Er ist ein guter Schauspieler… er hat… er hat…«
    Sie holte Luft, rieb sich über den Bauch, kniff die Augen zusammen.
    »Er hat Geld verdient… Ich hab auch gearbeitet, ich hatte die Einnahmen aus dem Appartement, wir hatten keine finanziellen Sorgen. Er spielte, er spielte, Jeremias spielte…«
    Sie senkte den Kopf.
    Auf einem Regal entdeckte ich ein Päckchen Papiertaschentücher. Ich stand auf und brachte es ihr. Clarissa tupfte sich die Augen ab, schnauzte sich und sah mich an.
    »Sie sind gefährlich«, sagte sie.
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich sag Ihnen Sachen, die Sie nichts angehen.«
    »Das ist wahr«, sagte ich. »Aber die Sachen sind gut aufgehoben bei mir.«
    »Sind Sie verheiratet?«
    »Nein.«
    »Mit wem reden Sie dann nach der Arbeit?«
    »Mit niemandem. Manchmal mit meinem Freund.«
    »Ach so«, sagte sie.
    »Wir schlafen nicht zusammen. Ich bin mit ihm aufgewachsen.«
    »Sie haben das so betont: mein Freund.« Sie trank ihr Glas leer. Ich schenkte ihr nach. Die Flasche war leer.
    »Er ist mein Freund«, sagte ich. »Wenn ich jemandem etwas erzähle, dann ihm. Was ist passiert, als Sie Ihrem Mann begegnet sind und er Ihnen mitgeteilt hat, dass er von nun an in seinen Erinnerungen leben will?«
    »Ist das eigentlich ein Verhör hier?«, fragte sie.
    Ich setzte mich. »Es gibt keine Verhöre bei der Polizei. Nur Vernehmungen.«
    »Das klingt politisch korrekt.«
    Wir schwiegen. Ich spürte den Wind in meinem Nacken. Das Geräusch des Regens war beruhigend. Wie spät es inzwischen war, wusste ich nicht. Ich war hungrig, betrunken und wach.
    »Hat er Sie gebeten, den Namen an der Tür anzubringen?«, fragte ich.
    Sie nickte.
    »Und was sagte Ihr Freund dazu? Herr Schulze?«
    »Herr Schulze sagte, ich würd spinnen. Herr Schulze sagte, er würd mir das verbieten. Ich sagte zu Herrn Schulze, er hat mir überhaupt nichts zu verbieten. Ich bin zu der Vormieterin von Frau Bast gegangen und hab ihr erklärt, dass ich das Schild anbringen will, sie soll sich nicht weiter drum kümmern. Sie machte einen Aufstand, sie behauptete, sie habe ein Recht auf ihren eigenen Namen an der Tür. Hat sie nicht. Wir haben uns rumgestritten, sie hat einen Anwalt eingeschaltet, der hat auch nichts erreicht, und dann ist sie ausgezogen nach zwei Jahren. Sie hat lang nichts Neues gefunden. Selber schuld. Frau Bast war verständnisvoll, ich hab ihr was von der Steuer erzählt, dämliche Ausrede. Ich wollte Jeremias eine Freude machen.«
    Als wäre sie plötzlich aus einem Trancezustand erwacht, sah sie mich mit entschlossener Miene an. »Ich wollt ihm eine Freude machen, weil es mir das Herz gebrochen hätt, ihm den Wunsch nicht zu erfüllen. Er hat mich darum gebeten, und ich konnte nicht anders. Vielleicht ist er wirklich krank inzwischen, vielleicht wär ich besser mit ihm in eine Klinik gefahren, vielleicht hätt ich… Ich habs einfach gemacht, verdammt, ich kenn ihn mein halbes Leben und ich mag ihn, ich mag ihn immer noch, und wenn er sein dämliches Namensschild haben will, soll ers haben!«
    Sie machte eine abfällige Handbewegung, ließ sich gegen die Couchlehne fallen und zeigte auf die Weinflasche.
    »Vollkommen leer«, sagte sie.
    Ich schaute die Flasche an, als würde sie sich dadurch füllen.
    Clarissa starrte ebenfalls eine Weile hin.
    »Warum ist Ihr Mann von der Bühne gefallen?«, fragte ich.
    Wie mechanisch nahm sie die leere Flasche, stand auf, hielt kurz inne, die freie Hand flach auf dem Bauch, ließ den Arm dann sinken und verließ das Zimmer.
    Es dauerte etwa zehn Minuten, bis sie zurückkam. In dieser Zeit hatte ich aus der Küche

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