Süden und der Straßenbahntrinker
betrunken machen?«, fragte Clarissa. Ich zog den Korken aus der Flasche.
»Was hat Ihnen Herr Schulze über meinen Besuch erzählt?«
Sie hielt mir das Glas hin, und ich schenkte nach.
»Er sagte, dass ein Spinner von Polizist ihn wegen Jeremias verhört hat.«
Ich sagte wieder: »Ich verhöre nicht.«
»Mein Freund hat es aber so empfunden.«
»Sonst haben Sie nichts geredet?«
»Wir reden zur Zeit nicht sehr viel miteinander.«
Vielleicht weil wir beide nicht genau wussten, was wir in diesem Moment tun sollten, stießen wir an. Wortlos. Mein Glas war leer, und Clarissa zeigte auf die Flasche, die ebenfalls fast leer war, und ich goss den Rest in mein Glas.
»Wo könnte er sein?«, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf.
»Warum steht an der Wohnung auf der Theresienhöhe Ihr Name?«
Sie lachte kurz auf. »Waren Sie dort?«, sagte sie.
»Ja. Frau Bast behauptet, es sei eine Steuersache. Sie hätten ihr das gesagt. Ich verstehe nichts davon, ich bin Beamter, meine Steuern werden jeden Monat abgezogen. Um welche Steuersache handelt es sich da?«
Sie stand auf, nahm die Flasche und ging aus dem Zimmer.
Als sie zurückkam, saß ich auf ihrem Platz auf der roten Couch. Sie stutzte, umfasste die Weinflasche, die sie mitgebracht hatte, mit beiden Händen. Wenn jemand nicht gut log, hatte ich Freude daran, ihn aus der Fassung zu bringen, auch mit minimalen Mitteln. Clarissa hatte die Flasche bereits in der Küche geöffnet, nun beugte sie sich über den Tisch um einzuschenken.
»Frau Bast ist vor einem Jahr eingezogen«, sagte ich. »Ich habe die Verträge gesehen. Sie vermieten Ihre Wohnung und bitten die Mieterin, ihren Namen nicht an Klingel und Tür zu machen. Haben Sie ihr Geld dafür geboten?« Clarissa stand vor dem Tisch, das Weinglas in der Hand, und rang um eine Antwort.
»Nein«, sagte sie und setzte sich auf den Stuhl, auf dem ich vorhin gesessen hatte. »Wir haben ihr kein Geld gegeben, sie hat es freiwillig gemacht.«
»Und warum?«
Sie stellte das Glas hinter sich aufs Fensterbrett. »Das geht Sie nichts an.«
»Doch«, sagte ich.
Wir schwiegen. Ich knöpfte mein Hemd bis zum Hals zu und genoss die Trunkenheit, die allmählich einsetzte.
»Was genau wollen Sie eigentlich von mir?« Endlich hatte sie die entscheidende Frage gestellt.
»Ich will, dass Sie mir sagen, wo sich Jeremias Holzapfel aufhält.«
»Wieso denn?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Doch.«
Vielleicht sollten wir uns in einer Stunde wieder treffen. Wenn uns neue Worte einfielen.
Ein kalter Wind wehte herein. Es wurde dunkler draußen.
»Die Wohnung«, sagte Clarissa, »lief immer auf meinen Namen, ich hab sie gekauft, meine Mutter hat mir Geld vererbt. Was sollt ich damit anfangen? Ins Kopfkissen stopfen? Ich hab Steuern damit gespart, was denn sonst?«
»Das interessiert mich nicht!«, schrie ich sie an.
Wie elektrisiert zuckte sie zusammen.
Ich schrie weiter: »Ich will wissen, warum Ihr Name immer noch dort steht! Und warum Ihr Exmann kopflos durch die Stadt rennt! Und warum Sie so tun, als wären Sie blöd!«
Ich hatte ihr nicht ins Gesicht geschrien, sondern in Richtung Flurtür, und das erschreckte sie offenbar doppelt. Ich sah, wie ihr Bauch sich bewegte und wie viel Mühe es sie kostete kein Wort zu erwidern. Vermutlich hätte sie am liebsten zurückgebrüllt, und ich stellte mir vor, wie sie reagiert hätte, wenn ich ihr Freund gewesen wäre.
»Warum ist Ihr Exmann so geworden?«, sagte ich in normalem Tonfall.
Sie schaffte es, einen Schluck zu trinken, doch ihre Hand zitterte so, dass sie unfähig war, das Glas abzustellen. Sie musste es mit beiden Händen festhalten.
»Ich hätt Sie nicht reinlassen sollen«, sagte sie. Mittlerweile beruhigte sie sich wieder.
»Das stimmt«, sagte ich.
Minuten vergingen. Wir tranken unsere Gläser leer. Unverändert drang der Lärm der Straße herein. Der Wind war noch kälter geworden. Wir hörten das Rauschen der Bäume. Und dann, von fern, Regen auf Asphalt.
Das Klirren des Glases, das Clarissa auf den Tisch stellte, neben das blaue Deckchen, ließ mich den Kopf heben.
»Mein Exmann«, sagte sie, »hat nie wirklich gelebt. Er stand morgens auf und stellte sich vor, er betritt eine Bühne. Den ganzen Tag verbrachte er als Darsteller. Und er stellte sich vor, alle Leute um ihn herum sind auch Darsteller. Und der ganze Tag ist eine Inszenierung. Bis er ins Bett geht. Und von mir sagte er immer, ich war seine Hauptdarstellerin. Aber ich war keine
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