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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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trug eine graue Bluse, darüber eine dunkelblaue Strickjacke, einen schwarzen Rock und graue Fellhausschuhe. Wenn sie schwieg, schienen ihre schmalen Lippen nach innen zu wachsen.
    »Meine Kollegin hat Sie angerufen«, sagte ich. »Sie haben sie nicht zurückgerufen.«
    Sie schwieg.
    Es waren die Reste eines Geruchs, die mich veranlassten, mich umzusehen. Doch ich konnte nicht finden, wonach ich Ausschau hielt.
    Von draußen hörte ich das ununterbrochene Rauschen der Autos. Bestimmt nahm Hanne Farak den Verkehr nicht mehr wahr.
    »Ihre Tochter macht sich große Sorgen um Johann«, sagte ich.
    Nachdem ihre Lippen wieder zum Vorschein gekommen waren, sagte sie: »Das ist ihre Spezialität.«
    Von den Heizkörpern unter dem Fenster war mindestens einer aufgedreht. Aber es kam mir vor, als würde die warme Luft von dem eisigen Atem, den Hanne Farak ausströmte, zurückgedrängt, als würden meine Worte in ihr Schweigen tauchen wie in Schnee .
    »Sie hat ihn als vermisst gemeldet, sie war bei der Polizei, jetzt wartet sie in seiner Wohnung. Er hat sie nicht angerufen, obwohl er das sonst jedes Jahr an ihrem Geburtstag macht. Haben Sie eine Vorstellung, wo er sein könnte?«
    Ich erhielt keine Antwort.
    »Seit wann leben Sie in diesem Haus?«, fragte ich .
    »Seit fast zwanzig Jahren«, sagte sie tonlos. Ich drehte mich zum Tisch, legte die Arme auf die Platte, faltete die Hände und starrte vor mich hin .
    Obwohl ich nirgends einen Aschenbecher entdeckt hatte, roch es nach Rauch. Und ich war mir sicher, Hanne Farak war Nichtraucherin. Und ich bildete mir ein, dass es nicht nur nach abgestandenem Zigarettenrauch roch, sondern noch nach etwas anderem, was nichts mit der Frau zu tun hatte. So karg diese Wohnung auch eingerichtet war und so unwirtlich sie jedem Gast, sofern je einer kam, erscheinen mochte, schmutzig oder heruntergekommen war sie nicht.
    Und doch lag etwas Schmutziges in der Luft, Partikel von Schweiß und Ausdünstungen ungewaschener Kleidung, vielleicht ein Hauch von Rasierwasser .
    Vielleicht. Vielleicht wollte ich auch nur eine leere Wohnung damit füllen.
    Vielleicht sollte ich einfach aufstehen, die starre Frau beiseite schieben und die Türen der übrigen Zimmer aufreißen, um nachzusehen.
    Warum denn nicht? Wozu war ich denn hier? Was redete ich, anstatt zu handeln?
    Und ich sprang auf, ging an der verblüfften Frau vorbei auf den Flur, öffnete die nächstliegende Tür und blickte in ein Zimmer, in dem ein schmales Bett, ein schmaler Schrank und ein Stuhl standen, über dem Kleidungsstücke ausgebreitet waren. Sie stammten nicht von einem Mann.
    Dann ging ich ins Zimmer nebenan, eine Rumpelkammer, bis zur Decke voll gestapelt mit Kisten, Kartons und Taschen.
    In der Küche stand eine Vase mit frischen gelben Rosen auf dem Tisch und im Badezimmer hing ein bunter Vorhang vor der Wanne. Es gab also doch Farben in dieser Wohnung.
    Ich schloss die Badezimmertür und wartete auf eine Reaktion von Hanne Farak. Sie hatte das Wohnzimmer nicht verlassen, alles, wozu sie sich aufraffte, war, dass sie sich herumdrehte und zu mir hersah .
    »War Ihr Sohn vor kurzem hier?«
    »Nein«, sagte sie.
    »Halten Sie es für möglich, dass er sich umbringt?«
    »Er führt sein eigenes Leben.«
    »Hassen Sie Ihren Sohn?«
    Schlagartig passierte eine Wandlung mit ihr. Sie ließ die Arme sinken, machte einen Schritt auf mich zu, blieb stehen, öffnete den Mund, hob das Kinn und schnitt eine Grimasse, die auf ihrem zementierten Gesicht grotesk aussah.
    »Reden Sie doch nicht so Zeug daher!«, sagte sie und ihre Stimme klang jetzt kräftig und tief, wie von einer anderen Person. »Dass Mutter und Sohn getrennte Wege gehen, ist normal. Wenn das nicht passiert, dann haben Sie ein Problem, ich als Mutter und Sie als Sohn, das wissen Sie doch! Da braucht man doch keinen Hass! Wenn Sie erwachsen werden, treffen Sie Ihre eigenen Entscheidungen, spielt keine Rolle, ob das jemand passt oder nicht! Ich hab meine Entscheidungen getroffen, und mein Sohn hat seine Entscheidungen getroffen, und mein Mann hat seine Entscheidungen getroffen. Und sogar meine Tochter hat ihre Entscheidungen getroffen, und es spielt keine Rolle, dass ich vieles nicht verstehe von dem, was sie treibt. Geht mich nichts an! Und Sie tauchen unangemeldet hier auf und reden von Hass! Gehen Sie jetzt, ich hab Sie freundlich reingelassen, und jetzt reichts! Raus hier!«
    Sie machte eine Handbewegung, verharrte eine Sekunde, ging hastig zur Wohnungstür und riss sie auf

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