Süden und die Frau mit dem harten Kleid
Liebhaber, aber die ersetzen keinen Vater. Du bist ein Einzelkind. Wie ich. Ich kann nicht beweisen, ob alle Einzelkinder so werden, ich jedenfalls wurde ein Einzelerwachsener.
Vielleicht hat Paul Recht, vielleicht sollte man sich zwingen, nicht allein zu bleiben .
In diesem Moment ging die Haustür auf und zwei Frauen kamen heraus, Hanne Farak und eine andere, jüngere Frau, die ich noch nie gesehen hatte. Sie gaben sich die Hand, wobei sie die Arme ausstreckten, wie um sich nicht zu nah zu kommen, und gingen in verschiedene Richtungen auseinander. Die jüngere Frau stieg in einen roten VW Golf. Ich startete meinen Dienstwagen.
Wir verließen Schwabing in nördlicher Richtung, überquerten auf der Leopoldstraße den Frankfurter Ring und kamen in jene Gegend aus Flachbauten, Wohnsiedlungen, Tankstellen, Industrieanlagen, Autohändlern und Bordellen, die München ein urbanes Gesicht gibt. Im Gegensatz zu den meisten übrigen Vierteln ist dies keine der Masken, von denen Touristen und der Oberbürgermeister schwärmen, wenn sie von dieser Stadt sprechen .
Kurz nach der Abzweigung der Heidemannstraße, die Milbertshofen mit Freimann verbindet, bogen wir links ab und erreichten eine Siedlung von Ein- und Zweifamilienhäusern, deren Straßen Vogelnamen hatten. Sperlingweg, Elsterweg, Dohlenweg, Regenpfeiferweg … Der rote Golf hielt vor dem Haus Bachstelzenweg 1a, die Frau stieg aus und ging auf ein Gebäude mit Holzdach und Giebelfenstern zu. Bevor sie aufsperrte, senkte sie den Kopf, und auf die Entfernung, aus der ich sie beobachtete, schien es, sie müsse erst Mut einatmen .
Nachdem sie im Haus war, wartete ich ein paar Minuten, bevor ich hinüberging und die Namen las. Einer davon war mir bekannt. Ich klingelte .
»Ja?«, sagte eine Stimme in der Sprechanlage.
Ich sagte: »Polizei.«
Die Tür wurde geöffnet. Vor der Wohnung im Erdgeschoss stand die Frau, die ich im Auto verfolgt hatte .
»Mein Name ist Tabor Süden«, sagte ich. »Ich möchte mit Ihnen über Johann Farak sprechen.«
Sie zögerte, dann sagte sie: »Meine Mutter ist krank, ich muss mich um sie kümmern.«
»Sie waren in der Bauerstraße«, sagte ich .
Sie erschrak.
»Wir setzen uns in die Küche und reden«, sagte ich. »Sie wissen, dass seine Schwester ihn als vermisst gemeldet hat. Sie hat Angst, dass er sich umbringt.«
»Er hat sich noch nie umgebracht«, sagte Andrea Langer .
In der Küche roch es nach Medikamenten und Gemüsesuppe, und ich bekam Hunger. Mein Magen fing sogar an zu knurren.
Andrea Langer hatte tiefe Augenringe im blassen Gesicht, ihre halblangen Haare waren strähnig und an den Spitzen ausgefranst, sie trug einen langen karierten Rock und einen beigen Pullover, der ihre Erscheinung fahl wirken ließ.
Ob ich einen besseren Eindruck auf sie machte, ist allerdings zweifelhaft. Wie immer hatte ich mich nicht rasiert und vergessen, mir die Haare zu waschen, die mir inzwischen bis auf die Schultern fielen. Außerdem wäre es an der Zeit gewesen, meine an den Seiten geschnürte Lederhose einer intensiven Reinigung zu unterziehen. Auch das vergaß ich regelmäßig, zog die Hose trotzdem oft an, weil ich mich in ihr geborgen fühlte, selbst wenn ich bei längerem Sitzen den obersten Knopf unter dem Gürtel öffnen musste. Bei ein Meter achtundsiebzig waren knapp neunzig Kilo deutliches Übergewicht, egal ob man nach der Broca-Formel oder dem Body Mass Index rechnete.
»Es scheint, wir könnten beide einen Schnaps vertragen«, sagte Andrea Langer.
Ich schätzte sie auf Mitte vierzig, vielleicht aber hatte sie heute nur einen alten Tag.
Ich sagte: »Wäre es möglich, eine Tasse Suppe zu bekommen?«
Sie lächelte, ging zum Schrank und holte einen Teller .
»Eine Tasse genügt«, sagte ich.
»Ich hab keine Suppentassen«, sagte sie .
Sie stellte den gefüllten Teller vor mich auf den Tisch .
»Möchten Sie ein Brot dazu?«
»Nein.«
»Guten Appetit. Trotzdem einen Schnaps?«
»Unbedingt«, sagte ich.
Wir tranken Aquavit, der zu den Gewürzen in der heißen Suppe gut passte.
»Meiner Kollegin haben Sie erzählt, Sie hätten seit zwei Jahren keinen Kontakt zu Johann Farak«, sagte ich mit brennender Zunge. Gierig löffelte ich weiter. »Und heute wollten Sie ihn besuchen.«
»Ich wollte ihn nicht besuchen«, sagte sie. »Ich wusste ja, dass er nicht da ist.«
»Woher?«
Mit nach vorn gebeugtem Oberkörper drehte ich den Kopf. Andrea Langer hatte sich nicht hingesetzt, sondern lehnte am Kühlschrank, der so
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