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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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ich weiß nur, es hatte nichts mit dem zu tun, was dann tatsächlich passierte.
    Vor der Badenburg hielt ich inne, beugte mich nach vorn, stützte die Hände auf die Oberschenkel und atmete schwer. Mindestens zwei Minuten bewegte ich mich nicht von der Stelle, bis ich das Geräusch hörte, das ich nicht zuordnen konnte.
    Das Geräusch kam vom See, nicht vom Wasser, vom Rand des Sees, und ich machte einen Schritt darauf zu. Doch störte mich das Knirschen unter meinen Schuhen, und ich blieb stehen und horchte. Nur das leise Glucksen des Wassers unterbrach in gleichmäßigen Abständen die Stille.
    Ich wandte mich um. Hinter dem Schlösschen begann eine Wiese, die sich zur Parkmauer im Süden erstreckte, umsäumt von Laubbäumen, von denen einer vielleicht eine besondere Bedeutung für Johann Farak hatte. Aus diesem Grund war ich hier: den Baum zu finden, den Rudi Tink in der »Schwabinger Sieben« erwähnt hatte. Warum? Ich hätte es dir nicht sagen können. Erwartete ich, deinen Vater zwischen den Zweigen hängen zu sehen? Was sonst? Eine Botschaft in einem Astloch? Es war eine Ahnung, der ich folgte, ein abseitiges Gefühl. Wie sollte ich mitten in der Nacht unter tausenden von Bäumen den richtigen erkennen? Tink hatte behauptet, der Baum stehe in der Nähe der Badenburg, dann waren es eben nur hunderte von Bäumen, die in Frage kamen. Vermutlich wäre es klüger gewesen, dachte ich und drehte mich im Kreis und kam mir plötzlich über die Maßen lächerlich vor, meine Wirtin in Harlaching zu besuchen und diese Nacht auf andere, vernünftigere Weise zu nutzen. Um mich herum war es plötzlich nicht nur still, die Umgebung erschien mir vielmehr mondartig leblos und unbewohnbar. Mit einem Mal wurde mir bewusst, in welch irre Situation ich mich gebracht, in was für ein Labyrinth ich mich begeben hatte, aus dem ich nur entkommen konnte, wenn ich auf der Stelle kehrtmachte, ins Dezernat fuhr und die Dinge in Angriff nahm, für die ich die Verantwortung trug und die man von mir als Hauptkommissar der Kripo erwartete. Meine Aufgabe bestand darin, einen suizidgefährdeten Menschen zu finden, und zwar mit den Mitteln, die uns auf der Vermisstenstelle zur Verfügung standen. Von Einbruch, unbefugtem Betreten von Grundstücken der Schlösser- und Seenverwaltung und dergleichen war im PAG, dem Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei, nicht die Rede. Ganz zu schweigen vom zügigen Alkoholkonsum im Verlauf von Vernehmungen .
    Vierundvierzig, dachte ich, entschlossen, nach Hause zu fahren und dort sonntägliche Einkehr zu halten, vierundvierzig Jahre alt, unberechenbar, überdreht, übermotiviert und unprofessionell. Bevor ich fortfuhr, mich in aller Peinlichkeit selbst zu beschimpfen, ließ ich noch einmal meine Blicke schweifen, betrachtete das Schlösschen mit den hohen Fenstern und der klassizistischen Fassade, hörte das sanfte Schlagen der Wellen und blieb unter einer Eiche stehen, die mir bis jetzt in der Dunkelheit nicht aufgefallen war. Ihr Stamm war alt und knorrig, wie in sich selbst verschraubt, schwere Äste hingen ins schwarze Wasser, als verbeugten sie sich vor dem Element. Eine niedrige Holzbank umfasste den Stamm. Und ich erinnerte mich, dass im Winter Eltern und Kinder ihre Jacken und Schuhe auf der Bank ablegten, bevor sie auf dem zugefrorenen See Schlittschuh liefen. Beeindruckend an der Eiche war nicht ihre Größe, der Baum wirkte eher gedrungen, es waren die Kraft, die von ihr ausging, gespeist von einer Jahrhunderte überdauernden Erdverbundenheit, und die Ruhe, die sie ausstrahlte, eine Art natürliches Vertrauen, das jeder empfand, der in ihre Nähe kam. Als wäre sie ein göttlicher Beweis dafür, dass uns die Schöpfung trotz allem, was wir ihr zufügen, noch immer duldet, uns vielleicht sogar in manchen Momenten vergibt.
    Wie benommen ging ich zu der Bank, stand einige Sekunden still und kniete mich dann auf die Bretter. Ich drückte die Hände flach gegen den rauen, ruppigen Stamm, der seltsamerweise bei weitem nicht so kalt war wie die Luft. Ich bildete mir ein, die Rinde zu riechen, und neigte den Kopf vor.
    In diesem Augenblick hörte ich wieder das Geräusch, ein merkwürdiges Knistern. Wahrscheinlich sah ich deswegen zuerst den Mantel und dann erst die Augen, die einen halben Meter von mir entfernt aus der Dunkelheit starrten. Obwohl ich erschrak, bewegte ich mich nicht .
    Die Hände weiter an den Stamm gepresst, wartete ich auf eine Reaktion.
    Doch das

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