Suehne
einem anvertraute. Es bereitete ihm keinerlei Mühe, Geheimnisse zu hüten, insbesondere wenn sie ihn selbst betrafen.
Vor etwa einem halben Jahr hatte er sie und eine rasch wachsende Anzahl Kollegen damit betraut, insgeheim die Akten des Palme-Mordes durchzugehen, ob sie nicht vielleicht doch etwas entdecken würden, was den anderen Ermittlern entgangen war.
Obwohl die Aktenberge gigantisch gewesen waren und das Projekt schon von daher zum Scheitern verurteilt gewesen war, war etwas eingetreten, was sich fast nur als Wunder bezeichnen ließ. Sie hatten zwei bislang unbekannte und höchstwahrscheinliche Tatverdächtige entdeckt. Der eine hatte den Mord geplant, der andere hatte geschossen. Der erste war schon seit Jahren tot, der zweite hingegen schien noch am Leben zu sein. Sein Aufenthaltsort war nicht bekannt, er schien untergetaucht. Plötzlich hatte sich ein Bild dessen, was sich eigentlich abgespielt hatte, herauskristallisiert.
Sie waren auf diverse, die beiden Verdächtigen belastende Umstände gestoßen. Sie hatten sogar Zeugen und Beweismaterial gefunden, die ihren Verdacht erhärteten. Zu guter Letzt hatten sie auch den noch lebenden Täter gefunden. Wenige Stunden bevor sie ihn festnehmen wollten, war er durch einen unerklärlichen Unfall ums Leben gekommen. Er und sein Boot waren nördlich von Mallorca in die Luft gesprengt worden. Und alles, was Holt und ihre Kollegen zusammengetragen hatten, war mit ihm in den Tiefen verschwunden. In der Wirklichkeit, in der unter anderem Anna Holt und ihr Chef lebten, war die Ermittlung des Mordes am Ministerpräsidenten inzwischen ein abgeschlossenes Kapitel. Falls Johansson darüber sprechen wollte, so war dies ein Geheimnis, das er mit anderen teilte. Die Überzeugung, die für sie zur Wahrheit geworden war, sich aber nie mehr beweisen lassen würde. Und falls sie unrecht gehabt hatten, würde sich das auch nicht mehr beweisen lassen. Ein Geheimnis, was ihn selbst betraf? Dass ich nicht lache, dachte Anna Holt, als sie vor dem Restaurant aus dem Taxi stieg. Sie hatten sich in einem Restaurant bei Johansson um die Ecke verabredet, einem kleinen Italiener, der nur einen Block von seiner Wohnung im Stadtteil Södermalm entfernt lag. Ausgezeichnetes Essen, noch bessere Weine und ein Johansson, der sich an Liebenswürdigkeit selbst übertraf, sowie ein Kellner, der ihn wie den König behandelte, der er in diesem Lokal sicher auch war, und sie wie seine gekrönte Gemahlin.
Wahrscheinlich hat er sie vorher davon in Kenntnis gesetzt, dachte Holt, dass ich eine Kollegin und nicht seine Geliebte bin.
»Vor deinem Eintreffen habe ich ihnen gesagt, dass wir Kollegen sind«, sagte Johansson und lächelte. »Damit sie sich nichts einbilden.«
»Diesen Verdacht hatte ich fast schon«, sagte Holt und erwiderte sein Lächeln. Ein Mann, der um die Ecke schauen kann, dachte sie.
»Es ist doch erstaunlich, Holt«, meinte Johansson, »dass ich um die Ecke schauen kann.« »Manchmal ist es fast schon unheimlich«, erwiderte Holt. »Aber im Augenblick fühle ich mich pudelwohl«, meinte sie dann. Außerdem stimmt es nicht immer, dachte sie. »Wanderer und Seher«, sagte Johansson. »Aber du musst wissen, dass es nicht immer stimmt. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich mich geirrt habe.« »War das das Geheimnis, das du mir erzählen wolltest?«
»Wirklich nicht«, meinte Johansson mit würdiger Miene. »Es würde mir nicht im Traum einfallen, so etwas zu erzählen. Das würde meine norrländische Glaubwürdigkeit in ihren Fundamenten erschüttern.« Johansson lächelte und hob sein Weinglas.
»Du bist wirklich unterhaltsam, Lars, wenn du in Laune bist, aber jetzt sterbe ich vor Neugier ... «
»Ich höre auf«, fiel ihr Johansson ins Wort, »und zwar in einer Woche. Ich habe fristlos gekündigt.«
»Hoffentlich ist nichts passiert«, sagte Holt. Was hat er sich jetzt wieder einfallen lassen?, dachte sie. Was erzählt er denn da? Nichts, laut Johansson war nichts passiert, er habe sich auch nichts einfallen lassen, er sei nur zu einer Einsicht gelangt, zu einer rein persönlichen Einsicht.
»Ich habe das Meine getan«, sagte Johansson. »Eigentlich hätte ich in einem halben Jahr ausscheiden sollen, aber da ich nach gut vierzig Jahren als Polizist das Meine getan habe, gibt es keinen Grund, die letzten Monate einfach nur abzusitzen.«
»Ich habe mit meiner Frau gesprochen«, fuhr er fort. »Sie hält das für eine ausgezeichnete Idee. Ich habe mit der Regierung und mit dem
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