Sünde einer Nacht (Geschichtentrilogie Band 3 Romantische Geschichten)
die Wand. Er rutschte tiefer und tiefer und setzte sich endlich auf den nackten Boden. Er träumte vom Meer und von Reisen in ferne Länder. Und dann sah er plötzlich zwei Frauen mit wunderschönen Gesichtern. Wahrscheinlich aus russischen Märchenfilmen. Sie reichten ihm ihre Hände und führten ihn in einen von der Abendsonne rot überfluteten Wald. Seine Füße waren leicht und sein Herz warm. In seinem Kopf tönte eine herrlich sinfonische Musik.
Sie stiegen einen Berg hinauf und blieben vor einem Abgrund stehen. In der Tiefe wälzten sich riesige, grüne Ratten im Schlamm und fletschten ihre schmutzigen, scharfen Zähne. Fette, schweinshäutige Köter mit bösen, gelben Augen sahen zu ihm auf. Unzählige schleimige, Gift spritzende Schlangen ringelten sich ihm entgegen. Und all dieses Unzeug zischte, bellte und spuckte aus der Tiefe in die Höhe. Doch er verspürte keine Angst. Er drückte die Hände der Frauen und fühlte sich geborgen.
Doch plötzlich waren die Frauen verschwunden. Auch die Sonne war weg. Und die Musik nicht mehr zu hören. Tiefschwarze Nacht umgab ihn. Und ein eisiger Wind schlug ihm ins Gesicht. Er stürzte in den Abgrund.
Als Max zu sich kam, waren seine Hände mit Handschellen an das Gitter gekettet. Da fing er zu schreien an. Er schrie und schrie. Und die Höllenhunde stürzten herein. Sie brüllten und schlugen ihm die Fäuste in die Seiten. Sie packten ihn und schleiften ihn ins Krankenzimmer. Ein Arzt gab ihm eine Spritze.
Wieder in der Zelle, verweigerte er das Brot. Er sprach nicht, sah niemanden an, dachte nichts, fühlte nichts. War nicht mehr. Er stand einfach nur da.
Nach drei Wochen Max abgeschoben. In den Westen. Da gehörten sie hin. Die Verweigerer. Die Anarchisten.
Der Maler Wedel
A ls Klara die Autotür öffnete, öffnete Domi gerade die Galerietür.
„Hallo! Domi“, rief sie, „wo willst du denn hin?“
„Ach“, erwiderte Domi mürrisch, „ich hab die Schnauze schon voll, muss schnell noch mal wohin. Schön, dass du da bist.“
Natürlich konnte Klara sich denken, wohin er musste. Bier holen natürlich.
Viel los war noch nicht an diesem frühen Abend in Bodos Galerie. Die Leute kamen immer erst so gegen neun Uhr.
Wedels Bilder hingen standen, lagen noch überall so herum, wie vor einigen Wochen zur Vernissage, als Klara das erste Mal in diesen länglichen, hohen Räumen vor ihnen stand, schockiert und fasziniert.
Und auch jetzt, in diesem Augenblick, hatten sie nichts von ihrer rätselhaften Faszination verloren. Auch jetzt nahmen sie sie wieder gefangen auf diese extreme Art. Ihr schien, als würden sie lebendig unter ihrem Blick, als könne sie in die Seelen dieser Konterfeis blicken, als wüsste sie, was sie hinter dieser grellbunten Fassade verheimlichen wollten. Sie konnten sie nicht täuschen, sie kannte sie alle, durchschaute sie, sie waren ihr auf unerklärliche Weise nah, sehr nah, war sie sich sicher.
Auch den Schöpfer dieser Bilder glaubte sie zu kennen, obwohl sie ihn noch nie gesehen hatte. Ausdrucksstark, emotional, extrovertiert, verbarg er nichts, öffnete er sich ohne Scham, ließ die Menschen, die es wollten, unbekümmert in seine Seele blicken.
Dieser Mensch hatte keine Geheimnisse. Dieser Mensch gab sich preis. Wie jeder Künstler. Auf diese oder jene Art. Er muss sich preisgeben. Öffnen. Das wilde Tier herauslassen.
Mit jedem Wort, jedem Pinselstrich, jeder Note, gibt ein Künstler etwas von seinem Ich, seinem Geist, seiner Seele preis. Nur so wird er glaubwürdig. Und jeder Künstler ist rein. Besitzt die Seele eines Kindes. Jeder, philosophierte Klara, während sie die Bilder der Reihe nach betrachte.
Wedel war ein Öffentlichkeitsmensch. Er brauchte die Menschen, den Auftritt, das Lob, die Schmeicheleien um sich her. Vor allem aber brauchte er die Frauen, die ihn umschwärmten.
Die Frauen umschwärmten ihn tatsächlich, obwohl er nicht besonders gut aussah, klein, gedrungen, nicht mehr ganz jung.
Seine wilden, dunklen, an den Schläfen leicht ergrauten Locken, umrahmten ein verlebtes Lausbubengesicht, aus dem himmelblaue Augen frisch und unternehmungslustig strahlten.
‚Wie ein sanfter Triebtäter sieht der aus‘, dachte Klara bei ihrer ersten Begegnung.
Vielleicht hatte er ja was. Sie würde es schon herausfinden. Ihr Interesse war jedenfalls geweckt.
Immer mehr vertiefte sich Klara jetzt in Wedels Bilder und verspürte wieder diese ihr unerklärliche
Weitere Kostenlose Bücher