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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Als die Musik endete, schafften die Frauen den Eintänzer fort, und die Tanzfläche hob sich hydraulisch zu einer Bühne, auf der nun ein »Modell« und ein Minderjähriger Fruchtbarkeitsriten zum besten gaben. Gelangweilt drehte sich Mertens um.
    »Für morgen ist alles vorbereitet?« fragte Steenbergen, seinen Blick auf das Schauspiel gerichtet.
    »Selbstverständlich!«
    »Du weißt, Wilhelm, ich vertraue dir voll und ganz.«
    Unverwandt stierten Steenbergen und Belasc auf die Bühne, wo der Junge mit steifem Glied die Hüften zu einer fremdartigen Musik kreisen ließ. Schließlich fiel Steenbergens Kopf zurück, und er sah Mertens von der Seite an. »Und erinnere an die neue Chip-Kollektion von Datacord.« Mertens nickte unaufmerksam und erhob sich. Steenbergen hielt ihn am Ärmel fest.
    »Über die andere Sache reden wir hinterher.«
    Mertens schlängelte sich aus der Nische, und Steenbergen winkte ihm zu, wie der Kaiser aus seiner Kutsche den Gaffern am Straßenrand. Dann beugte er sich zu Belasc. »Wenn’s keine Embargos gäb’, sie müßten erfunden werden!«
    »So ist’s«, sagte Belasc tonlos.
     
    Auf der Straße atmete Mertens tief durch. Schweiß lief über seine Stirn in die Augenhöhlen. Ein leichter Wind wehte die Schöße seines Mantels. Wilhelm Mertens war müde.
     
    Florence sah sich in Lacans Wohnung neugierig um. Lacan lehnte im Türrahmen des Schlafzimmers und beobachtete sie mit gesenktem Kopf.
    »Überrascht?« fragte er.
    Langsam kam sie auf ihn zu und nahm ihn in die Arme. Sie stellte ihre Füße auf seine, und engumschlungen gingen sie rückwärts, wie Clowns im Zirkus, zu seinem Bett. Lacan ließ sich fallen. Er sah in ihre Augen und wußte, daß es nichts zu entdecken gab. Plötzlich war Florence eine beliebige Frau, die er in einer Bar kennengelernt hatte und die den Zweck ihrer Bekanntschaft schon erfüllt hatte, doch dann gruben sich ihre langen spitzen Fingernägel in seinen Rücken. Er schloß die Augen und küßte sie. Florence zerrte an seiner Hose, und seine Hand fuhr unter ihren Pullover.
     
    »Hier ist die Tagesschau mit den letzten Meldungen«, sagte der Sprecher, aber Irene wollte sie nicht mehr hören. Sie zog die Bettdecke hoch und rollte sich auf die Seite, die Beine angezogen wie ein Kind.
    Im Laufe des Abends hatte sie über Lescheks Angebot nachgedacht. In Stuttgart kannte sie keinen Menschen, und Familienanschluß war das letzte, was sie wünschte. Manchmal sehnte sie sich nach Landschaften, Feldern, dem Wechsel der Jahreszeiten, kleinen Ortschaften, in deren Gasthäusern sie sonntags mit ihrem Sohn essen könnte, und gleichzeitig war da die unbeschreibliche Furcht vor der Langeweile nicht endender Wochenenden. Sie wollte nicht länger allein sein, ihr Sohn war kein Trost.
    Nachdem sie das Fernsehgerät ausgeschaltet hatte, war es restlos dunkel in ihrem Schlafzimmer, kein Ton, keine Stimme, kein Körper. Sie zog die Decke über den Kopf und hielt den Atem an. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie liebte Berlin, diese abgetakelte Kokotte, die Tag für Tag auf den Anbruch der Dämmerung wartet, in der man die Mitesser unter dem Rouge nicht mehr sieht, aber sie, sie war doch noch jung. Man wird immer einen Platz finden. Was war mit Lacan? Was will er? Irene Rabbia ging unter der Decke die Luft aus.
    Sie stand auf, zog sich im Dunkeln an und ging ins Bad. Sie tuschte ihre Wimpern und kämmte sich. An der Tür des Kinderzimmers lauschte sie den regelmäßigen Atemzügen Raffaels. Dann verließ sie die Wohnung. Sie wußte nicht, wohin sie gehen sollte, aber sie konnte nicht im Bett liegen und tun, als schlafe sie.
    Rauchend saß sie in ihrem Auto. Schließlich fuhr sie in ein Café, setzte sich an die Bar und bestellte ein Bier. Das Stimmengewirr und die Musik legten sich wie Glaswolle um ihren Kopf. Sie wollte nicht denken, und sie wollte nicht reden. Niemand kümmerte sich um sie, und Irene saß schweigend da, rauchte und trank.
     
    An einer Wand der Bierbar klebte eine Fototapete, auf der ein Hula-Mädchen vor Palmen und Meer posierte, davor stand die Musicbox.
    »Was trinkt ihr noch? Die nächste Runde geht auf mich«, sagte Kutti, der Wirt.
    »Zwei Klare«, antwortete Assi.
    »Denn packen wir’t aber«, sagte Eddie.
    »Aba immer!« rief Assidertürke. »Jlobste eijentlich, der is’ so blöd und liecht zu Hause in’t Bett und wartet auf uns?«
    »Der is’ so blöd«, sagte Eddie. »Der rechnet nämlich jar nich damit, dit wir noch mal kommen, oder er hattet

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