Sünden der Leidenschaft
erzählt, daß Mama, nachdem sie dich kennengelemt hat, mit dir fortgelaufen ist.« Flora lächelte. »Sie wäre voll und ganz mit meinem Leben einverstanden, wie du sehr wohl weißt. Hat sie dich etwa nicht überallhin begleitet? Wurde ich nicht auf einem Frachtschiff vor der chinesischen Küste geboren? Meine Abneigung gegen gesellschaftliche Zwänge habe ich wahrscheinlich von ihr geerbt, sie war ja wohl sehr emanzipiert.«
»Sie war wirklich außergewöhnlich«, erinnerte sich der Graf.
»Und du hast in all den Jahren nie wieder jemanden wie sie gefunden, obwohl sich so viele Frauen für dich interessiert haben.«
Mit sechsundfünfzig war der Graf noch immer ein gutaussehender Mann – groß, schlank, sonnengebräunt, mit sonnengebleichtem sandfarbenen Haar, das nur an den Schläfen ein wenig grau wurde. Die Frauen interessierten sich immer noch für ihn. »Nein«, sagte er ruhig, »deine Mutter war etwas Besonderes.«
In den letzten Jahren hatten sie diese Gespräche – in unterschiedlicher Form – immer wieder geführt. Ihr Vater machte sich Sorgen um ihre Zukunft, und jedesmal versicherte sie ihm, daß sie mit ihrem rastlosen Leben sehr zufrieden war. »Wenn ich jemals den Richtigen treffe, Papa, werde ich ihn heiraten. Aber da ich ohnehin keine Kinder bekommen kann, besteht ja kein Druck zu heiraten – nur um verheiratet zu sein.«
»Vielleicht irren sich die Ärzte.«
»Das bezweifle ich – bei der übereinstimmenden Aussage so vieler verschiedener Ärzte in unterschiedlichen Ländern wie Griechenland oder der Türkei? Ich wäre in jenem Sommer in Alexandria fast am Fieber gestorben. Ich bin froh, daß ich überhaupt noch lebe.«
»Gott sei Dank, daß es so ist.« Der Graf erschauerte innerlich, als er daran dachte, daß er seine damals sechzehnjährige Tochter in dem schwülen, feuchten Juli beinahe verloren hatte. Sie hatte fast eine Woche lang mit dem Tode gekämpft, und nur der Erfahrung der griechischen und arabischen Ärzte hatte sie ihr Leben zu verdanken.
»Und sieh dir doch meine Verehrer an, Papa. Sie sind alle wohlerzogen und nett, aber nicht aufregend oder interessant. Ich könnte mich nie in sie verlieben.«
»Nicht einmal der Comte des Chastellux?« fragte ihr Vater mit einem kleinen Lächeln. »Euer Spaziergang im Garten von Richter Parkman hat einiges Aufsehen erregt.«
Sie wurde rot und antwortete sanft: »Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will, ganz egal, was andere Leute dazu sagen.«
»Ich mache dir keine Vorwürfe«, versicherte ihr Vater. »Deine Unabhängigkeit ist für mich genauso wichtig wie für dich. Und wenn Mama noch lebte, würde sie sicher alle Schriftstellerinnen aufzählen, die für die Gleichstellung der Geschlechter eingetreten sind. Ich wollte nur wissen, ob Adam Serre mehr Eindruck auf dich gemacht hat als deine Londoner Verehrer.«
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort, weil sie sich selbst fragte, warum sie Adam so anziehend fand. Es konnten nicht nur rein körperliche Gründe sein. »Ich glaube schon, daß er Gefühle in mir geweckt hat, aber ich bin mir nicht ganz sicher, welche.« Einen Augenblick lang leuchtete ihr Lächeln in der violetten Dämmerung. »Er sieht zweifellos gut aus, das mußt du zugeben.«
»Alle deine Verehrer sehen gut aus«, sagte ihr Vater.
»Er ist kein Verehrer.«
»Vielleicht macht das seinen Reiz aus«, überlegte der Graf vorsichtig. »Er hat den Ruf, reichlich ungestüm zu sein.«
»Papa, bitte sprich nicht in diesem Ton mit mir – auch wenn Tante Sarah mir erzählt hat, daß Mama genau dieser Ton an dir so gefiel.«
Lord Haldane grinste und murmelte scherzend: »Hmm … Ist es zu spät, dir Stolz beizubringen?«
»Um Jahre zu spät, tut mir leid. Du weißt ebenso wie ich, daß mein adliger Stand mich schützt.«
»So, wie er deine Mutter geschützt hat. Und weil sie das wußte, hat sie ja dafür gesorgt, daß du ebenfalls einen Titel trägst.«
»Mama kannte die Vorurteile eines Adelstitels. Jeder hier im Haus oder in ganz Virginia City mag über mich sagen, was ihm einfällt, solange ich tun kann, was ich will.«
»Wenn du dabei glücklich bist, bin ich zufrieden, mein Schatz.«
»Dann mach dir keine Sorgen, Papa. Das Leben gefällt mir so, wie es ist.«
Danach wandten sie sich anderen Themen zu. Sie überlegten, wie viele Pferde sie von Adam kaufen würden und ob sie einige davon vielleicht zur Jagdsaison nach England schicken sollten.
»Adams Springpferde erinnern mich an die deutschen Jagdpferde aus
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