Sünden der Nacht
im Gefängnis mit Kinderschändern machten, erinnerte sich an jeden quälenden Augenblick, jeden Schmerz, die Angst, bei dem einem übel wurde. Er wußte, was es hieß, gequält zu werden. Schweiß brach aus allen seinen Poren bei der Erkenntnis, daß es wieder passieren würde. Ob sie ihn nun hierbehielten oder nach Washington zurückschickten, es würde alles wieder von vorne anfangen.
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»He, du bist krank, weißt du das? Das ist krank, kleine Jungs anfassen und all so ’ne Scheiße. Was hast du diesem Josh Kirkwood angetan? Ihn umgebracht? Sie sollten dich aufhängen
…«
»Ich war es nicht!« schrie Olie. Sein Gesicht war krebsrot.
Sein gesundes Auge trat fast aus der Höhle, rollte wie verrückt.
Er warf sich gegen die Stäbe, zwickte Boogs Finger ein. »Ich war es nicht! Ich war es nicht!«
Boog stolperte rückwärts, schüttelte seine schmerzenden Finger. »He, du bist total irre! Du bist scheißirre!«
Ein Ruf war vom Ende des Korridors zu hören, und der Wärter kam angerannt.
Olie sank zu Boden wie eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte. Er schluchzte: »Ich war es nicht.«
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Kapitel 23
TAG 7
20 Uhr 37, – 35 Grad, Windabkühlungsfaktor: -53
Grad
»Oma sagt, du hast den bösen Mann ins Gefängnis gesteckt, und jetzt können wir aufatmen«, erläuterte Jessie ihrem Vater, während sie Scotch eine lange, zerfledderte rote Schleife um den Hals band.
Der Hund ließ sein Fräuleinchen gutmütig gewähren; er
stöhnte nur ein bißchen und warf Mitch einen hilfesuchenden Blick zu. Mitch las gerade die kopierten Seiten von Joshs Notizbuch durch, auf der Suche nach irgendeiner Erwähnung von Olie, abgesehen von der einen Seite: Die Kinder hänseln Olie, aber das ist gemein. Er kann doch nichts dafür, wie er aussieht. Der Wohnzimmerboden war mit Barbiepuppen und ihrem Zubehör übersät. Im Fernseher in dem eichenen
Musikschrank an der Wand gegenüber lief eine
Nachrichtensendung. Während Jane Pauley die Schlagzeilen las, erschienen Bilder vom neuesten Erdbeben in San Francisco, und eine skandalumwitterte Eisläuferin blitzte über den Bildschirm.
Jessie schaute von ihrem Platz auf dem Boden hoch zu Mitch.
»Warum hat Oma das gesagt?«
Die ersten paar Antworten, die ihm in den Sinn kamen, waren nicht sehr schmeichelhaft für Joy Strauss. Mitch biß sich auf die Zunge und zählte bis zehn. »Sie hat gemeint, sie fühlt sich jetzt sicherer«, er drehte eine Seite mit sorgfältig gezeichneten Raumschiffen um und legte sie mit dem Gesicht nach unten zu den anderen Blättern auf dem Couchtisch.
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Und es bedeutete, daß Joy jetzt eine neue Nadel in der Hand hatte, mit der sie ihn traktieren konnte.
» Ich kann einfach nicht glauben, daß jemand wie er auch nur einen Schritt auf den Straßen von Deer Lake tun darf. «
» Er hat ja nicht gerade ein Schild umgehängt gehabt, Joy, hatte kein großes P für Pädophilie auf der Stirn eingebrannt.
Woher sollte ich das wissen? «
» Also Alice Marshton sagt, die Polizeibehörden haben ein Verbindungsnetzwerk, mit dem sie solche Leute im Auge behalten. Alice liest viele Krimis und sie sagt … «
» Das hier ist das wirkliche Leben, kein Agatha-Christie-Roman. «
» Du brauchst nicht gleich eingeschnappt zu sein. Ich hab dir nur erzählt, was Alice meinte. «
Sie sagte nur das, was mehr als nur ein paar Leute in der Stadt sagten – daß er die Schuld an Josh Kirkwoods Verschwinden trüge. Er verstand ihr Bedürfnis nach einem Sündenbock. Auf einen echten, lebendigen Menschen mit dem Finger zeigen war weniger beängstigend als zu glauben, sie besäßen keinen Schutz gegen solche Vorkommnisse. Aber das machte es für ihn auch nicht leichter. Natalie hatte den ganzen Tag wütende Anrufe abgewehrt; seine Telefonautomatik war voller Nachrichten aufgebrachter Bürger.
Er überließ es weiter der Maschine, die empörte Volksseele aufzufangen. Heute abend hatte er keine Lust, den Prügelknaben zu spielen. Er wollte ein bißchen Ruhe mit Jessie – selbst wenn er seine Aufmerksamkeit zwischen seiner Tochter und dem Stapel Papierkram aufteilen mußte, den er mit nach Hause gebracht hatte. Joy hatte vorwurfsvoll mit der Zunge geschnalzt, weil er Jessie an so einem kalten Abend mit nach Hause nahm und hatte gesagt, sie würde sich sicher etwas holen. Mitch hatte sie daran erinnert, daß sie ja nur über die Straße gehen mußten und daß es zu kalt für Bakterien wäre. Er sparte sich einen 403
weiteren vergeblichen Versuch ihr zu
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