Sünden der Nacht
Blättern auf dem Couchtisch.
Und es bedeutete, daß Joy jetzt eine neue Nadel in der Hand hatte, mit der sie ihn traktieren konnte.
»Ich kann einfach nicht glauben, daß jemand wie er auch nur einen Schritt auf den Straßen von Deer Lake tun darf.«
»Er hat ja nicht gerade ein Schild umgehängt gehabt, Joy, hatte kein großes P für Pädophilie auf der Stirn eingebrannt. Woher sollte ich das wissen?«
»Also Alice Marshton sagt, die Polizeibehörden haben ein Verbindungsnetzwerk, mit dem sie solche Leute im Auge behalten. Alice liest viele Krimis und sie sagt …«
»Das hier ist das wirkliche Leben, kein Agatha-Christie-Roman.«
»Du brauchst nicht gleich eingeschnappt zu sein. Ich hab dir nur erzählt, was Alice meinte.«
Sie sagte nur das, was mehr als nur ein paar Leute in der Stadt sagten – daß er die Schuld an Josh Kirkwoods Verschwinden trüge. Er verstand ihr Bedürfnis nach einem Sündenbock. Auf einen echten, lebendigen Menschen mit dem Finger zeigen war weniger beängstigend als zu glauben, sie besäßen keinen Schutz gegen solche Vorkommnisse. Aber das machte es für ihn auch nicht leichter. Natalie hatte den ganzen Tag wütende Anrufe abgewehrt; seine Telefonautomatik war voller Nachrichten aufgebrachter Bürger.
Er überließ es weiter der Maschine, die empörte Volksseele aufzufangen. Heute abend hatte er keine Lust, den Prügelknaben zu spielen. Er wollte ein bißchen Ruhe mit Jessie – selbst wenn er seine Aufmerksamkeit zwischen seiner Tochter und dem Stapel Papierkram aufteilen mußte, den er mit nach Hause gebracht hatte. Joy hatte vorwurfsvoll mit der Zunge geschnalzt, weil er Jessie an so einem kalten Abend mit nach Hause nahm und hatte gesagt, sie würde sich sicher etwas holen. Mitch hatte sie daran erinnert, daß sie ja nur über die Straße gehen mußten und daß es zu kalt für Bakterien wäre. Er sparte sich einen weiteren vergeblichen Versuch ihr zu erklären, wie Viren tatsächlich übertragen werden. Nachdem er nie in einer Krankenhausküche gearbeitet hatte wie ihre Freundin Ione, vertraute Joy seinem medizinischen Wissen nicht.
Jessie war fertig mit der Schleife und nahm jetzt die Bürste, um den Rücken des Labradors zu bearbeiten. Scotch grunzte zufrieden, rollte sich auf die Seite und bot ihr seinen Bauch zur Behandlung dar. »Oma sagt, der Mann hat lauter schlimme Sachen mit kleinen Kindern gemacht, von denen nur Gott weiß«, fuhr Jessie fort. »Aber wenn Gott der einzige ist, der es weiß, woher weiß es dann Oma?«
»Sie weiß es nicht, sondern bildet es sich nur ein. Keiner hat bis jetzt bewiesen, daß der Mann irgend etwas gemacht hat.« Mitch war erstaunt
und beschämt, weil er tatsächlich Olie Swain verteidigte, nur um Partei gegen seine Schwiegermutter zu ergreifen.
Er wandte sich einem weiteren Blatt zu, dieses war voller Gedanken Joshs darüber, daß er Co-Captain des Eishockeyteams geworden war. Es ist wirklich cool. Ich bin ganz stolz, aber meine Mom sagt, ich soll nicht angeben. Einfach meine Sache gut machen. Keiner mag Angeber. Auf der nächsten Seite machte er seinem Unmut Luft, weil er in den Religionsunterricht mußte. Er hatte lauter böse Gesichter gezeichnet und Daumen, die nach unten zeigten, und Gott mit einem langen weißen Bart und einem Heiligenschein sowie der grimmigen Fratze eines Teufels.
»Wie kommt’s dann, daß dieser Mann im Gefängnis ist?«
»Jessie …« Seine Zähne waren nahe daran zu knirschen. Er beugte sich vor und strich mit der Hand über den Kopf seiner Tochter.
»Schätzchen, Daddy hat wirklich die Nase voll von diesem Fall. Können wir über etwas anderes reden?«
Sofort erwachten wieder Schuldgefühle in ihm. Er hatte sich immer bemüht, Jessie gegenüber so ehrlich wie möglich zu sein. Die Fragen seines Kindes abzubiegen warf mehr Probleme auf, als es die Sache wert schien, und heute abend fehlte ihm die Energie für Antworten. Jetzt, wo Olie aus dem Verkehr gezogen war, zwangen ihn der Streß und die vielen Überstunden in die Knie. Und mit der Entdeckung der Blutflecken im Van war die Sorge um Joshs Befinden noch größer geworden. Sie konnten nichts machen, außer auf die Ergebnisse zu warten. Unglücklicherweise entsprach Jessies Vorstellung von einem Themenwechsel nicht ganz dem, was Mitch vorschwebte.
Sie entdeckte eine der Seiten mit Joshs Zeichnungen, vergaß Scotch und robbte auf Knien zum Couchtisch. »Wer hat dir denn diese Bilder gezeichnet?«
»Das sind Bilder von Josh.« Er strich über die
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