Sünden der Vergangenheit - McKenna, S: Sünden der Vergangenheit
worauf sich die sieben Ziffern wohl beziehen mochten: eine Adresse, eine Telefonnummer, ein Bankschließfach? Aber EFPL war die Bücherei. Kev musste eine Standortnummer gemeint haben. HC musste die History Collection, die historische Sammlung, sein. Was bedeutete, dass es ein altes Buch war, das noch aus Augustus Endicotts Originalbibliothek stammte, die der Stadt bei seinem Tod überlassen worden war. Das passte perfekt – B63 musste die alte Signatur des Buchs sein. Natürlich.
Allmächtiger, wie simpel, wie banal. Wie wunderbar und schrecklich zugleich. All diese Jahre, all der Schmerz, wegen ein paar verloren gegangener Fasern. Wie konnte sie die Blattstruktur übersehen haben? Wie konnte ihr das entgangen sein?
Liv war ebenso beschämt wie erleichtert.
Sie legte die Hand vor den Mund und dämpfte ihre Triumphschreie zu komischen, wimmernden Kieksern ab. Dann griff sie nach dem Handy, das Sean dagelassen hatte, und wählte seine Nummer. Der Teilnehmer war nicht zu erreichen. Sie hätte heulen können.
Sie war völlig aus dem Häuschen, platzte vor Stolz und hatte niemandem, mit dem sie diesen aufregenden, triumphalen Moment teilen konnte. Noch immer euphorisch quiekend sprang sie durchs Zimmer. Sie umklammerte das Handy und versuchte, zu Atem zu kommen. Sie wünschte, sie hätte die Art von Familie, mit der man einen solch glorreichen Augenblick teilen konnte.
Der Gedanke erinnerte sie daran, dass sie sich schon seit drei Tagen nicht mehr bei ihren Eltern gemeldet hatte. Das war ein bisschen hart. Außerdem fühlte sie sich wegen ihres ruhmreichen Durchbruchs ihnen gegenüber etwas gnädiger gestimmt.
Sie machte sich auf einen lautstarken Tadel gefasst, während sie die Nummer wählte.
»Endicott House«, meldete sich Amelia.
»Hallo, Mutter. Ich bin’s. Ich wollte euch wissen lassen … «
»Oh, Livvy. Ich dachte schon, du würdest niemals anrufen.« Die Stimme ihrer Mutter brach, und sie begann wie verrückt zu schluchzen.
»Mutter, es geht mir gut«, versicherte Liv ihr. »Ich habe dir schon letztes Mal gesagt, dass ich mich nur verstecke, solange wir … «
»Es geht um deinen Vater«, wimmerte ihre Mutter.
Ein eiskalter Stachel der Angst bohrte sich in ihr Herz. Ihre Knie gaben nach, und sie musste sich auf die Couch setzen. »Was ist mit Daddy?«
»Er erlitt am Tag nach deinem Verschwinden einen schlimmen Herzinfarkt.« Ihre Mutter hielt inne und holte mit einem zittrigen Schluchzen Luft. »Der Schock … es war einfach zu viel für ihn. Du weißt ja, diese Schübe, die er regelmäßig hatte. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht, Livvy.«
»Wie geht es Daddy jetzt?«, fragte sie. »Ist er bei Bewusstsein?«
»Ich habe Tag und Nacht an seinem Bett gewacht«, sagte ihre Mutter dumpf. »Ich habe weder gegessen noch geschlafen. Ich ging nur nach Hause, um nachzusehen, ob du angerufen hattest.«
»Mutter«, sagte sie, nun etwas schärfer. »Sag mir, wie es Daddy jetzt geht.«
»Blair ist im Moment bei ihm.« Amelias Stimme wurde einen Tick lebhafter. »Blair ist wie ein Fels in der Brandung für mich.«
»In welchem Zustand ist Daddy jetzt?«, wiederholte Liv verzweifelt.
»Komm heim. Bitte, Livvy. Ich flehe dich an. Er dämmert immer wieder weg, aber er fragt ständig nach dir.«
Liv wand sich innerlich. »Okay«, wisperte sie. »Ich werde kommen. Ich weiß nicht, ob ich es heute noch schaffe, aber … «
»Dann wird es zu spät sein. Diese … Person scheint dir wichtiger zu sein als deine eigene Familie, aber dein Vater liegt im Sterben, Livvy.«
Ihre Gedanken überschlugen sich. »Ich werde so bald wie möglich kommen«, versprach sie hastig. »Wo ist er?«
»Er liegt auf der Intensivstation der Chamberlain Clinic. Nordflügel, zweiter Stock. Wann kannst du dort sein, Livvy? Damit ich es Daddy sagen kann.«
»Frühestens in vier Stunden. Mutter, hör mir jetzt gut zu. Es sind Leute hinter mir her, die mich töten wollen. Sean hilft mir dabei herauszufinden, wer sie sind und was sie von mir wollen, und wir machen Fortschritte, aber … «
»Livvy. Hör dich nur an. Ich kann nicht fassen, dass du zu einem solchen Zeitpunkt nur an dich selbst denkst. Es ist immer nur ich, ich, ich, während dein Vater an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen ist und seine letzten Atemzüge tut.«
»Bitte, Mutter«, sagte Liv mit mühsam beherrschter Geduld. »Hör mir zu. Ich werde in die Klinik kommen, aber du musst dafür sorgen, dass dort eine Polizeieskorte auf mich wartet. Bitte, nimm das
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