Sündenfall: Roman (German Edition)
Mädchens, wobei sie sich bemühte, nicht auf den gelblichen Schaum zu achten, der der Toten aus den Nasenlöchern quoll. Das Gesicht war vom langen Liegen im Wasser aufgequollen, weshalb nur schwer festzustellen war, wie sie im Leben ausgesehen haben mochte. Doch Kershaw schätzte sie wegen der schlanken Figur auf Mitte bis Ende zwanzig, was hieß, dass sie etwa gleichaltrig waren. Plötzlich wollte sie unbedingt wissen, wer dieses Mädchen war.
»Können wir ihr Fingerabdrücke abnehmen?«, fragte sie.
Mit einer Hand, die in einem Latexhandschuh steckte, drehte er das Handgelenk des Mädchens um. Ihre Fingerspitzen waren aufgequollen und runzelig, die Haut begann bereits, sich abzulösen.
»Waschfrauenhände«, antwortete er kopfschüttelnd. »Das können wir vergessen. Aber wir nehmen DNA -Proben. Vielleicht können Sie Ihren Vorgesetzten ja dazu bringen, Tests zu genehmigen. Aktenzeichen DB 16.«
Kershaw machte sich Notizen. »Der sechzehnte Leichenfund in diesem Jahr?«, erkundigte sie sich.
»Ja, und wir haben noch nicht einmal vier Monate rum.«
Inzwischen war das Zelt vom Geruch der Leiche erfüllt. Es roch nicht unangenehm: nach Fluss, jedoch mit einer muffigen Note, die Kershaw an im Kühlschrank vergessene Pilze erinnerte. Sie war frustriert und enttäuscht, weil sie nichts … Konkreteres gefunden hatte. Mach dich nicht lächerlich, Nat , dachte sie. Hast du geglaubt, du könntest hier hereinspazieren, den entscheidenden Hinweis entdecken und den Fall aufklären wie im Fernsehen?
»Wenn es ein Selbstmord wäre, wäre sie doch auf keinen Fall nackt, oder?«, wollte sie wissen, plötzlich besorgt, das Mädchen könnte nur eine der vielen sein, die sich im Fluss das Leben nahmen. »Sie kann nicht einfach im Wasser ihre Sachen verloren haben, richtig?«
Er zog die Mundwinkel nach unten. »Ich habe noch nie gehört, dass die Strömung jemandem BH und Höschen vom Leibe reißt.« Sie sahen einander nicht an. »Nein, ich würde sagen, dass sie eindeutig nackt war, als sie im Wasser gelandet ist«, fuhr er fort. »Und um diese Jahreszeit wollte sie auch sicher nicht nackt baden.«
Er bückte sich nach einer Tasche zu seinen Füßen. »Ich nehme besser Proben, solange sie noch frisch ist«, meinte er und begann, Plastikröhrchen auf einem Tapeziertisch aufzureihen.
Kershaw, die allein neben der Leiche stand, bemerkte, dass das schulterlange Haar des Mädchens an den Enden trocknete und einen leuchtend rotgoldenen Ton annahm. Tizian hatte ihr Dad diese Farbe genannt, schoss es ihr durch den Kopf.
Ihr Blick fiel auf die linke Hand des Mädchens, die, mit der Handfläche nach oben, in der Edelstahlwanne lag, wie der Polizist sie zurückgelassen hatte. Die Finger waren leicht gekrümmt – eine Geste der Hilflosigkeit oder eine Bitte. Als ein Windstoß knatternd die Zeltplane aufriss, zuckte sie zusammen.
»Fast hätte ich es vergessen«, sagte der Polizist, als er sich wieder zu Kershaw gesellte. »Ich habe auch eine gute Nachricht.« Er schob die behandschuhte Hand unter die Hüfte des Mädchens und drehte sie zur Seite.
Unten an der Wirbelsäule, dicht oberhalb des Pos, bemerkte Kershaw etwas, das auf der aufgequollenen weißen Haut aussah wie ein Fleck. Als sie sich vorbeugte, erkannte sie, dass es sich um eine Tätowierung handelte – ein blaues Herz, offenbar eine Amateurarbeit, umschloss zwei eindeutig ausländische Namen: Pawel und Ela .
»Vielleicht hilft Ihnen das ja bei der Identifizierung weiter«, verkündete der Polizist und legte die Leiche erstaunlich sanft wieder auf den Rücken.
DREI
D as Rechteck aus Plastik klappte auf, als die letzte Münze in den Schlitz rutschte, und Janusz beugte sich zum Guckloch hinunter. Auf der anderen Seite, in der Mitte eines schummrig beleuchteten fensterlosen Raums und in bunte Lichtpunkte getaucht, wand sich ein schlankes, nacktes Mädchen an einer vom Boden bis zur Decke reichenden Stange.
Jedes Härchen am Körper war abrasiert oder ausgezupft, sodass sie – bis auf ein Piercing im Nabel – absolut nackt war. Die anmutigen Bewegungen der jungen Frau waren auf die hämmernde Rockmusik abgestimmt, doch ihre Miene war ausdruckslos, ihr Blick ins Leere gerichtet. Nur ihre langen Fingernägel wichen von der Norm ab: Sie waren nicht wie üblich rot lackiert, sondern pechschwarz.
Janusz sah nur lange genug hin, um sich zu vergewissern, dass es wirklich Kasia war. Dann richtete er sich auf, schaute stirnrunzelnd auf die Uhr und versuchte, nicht auf den
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