Sündenfall: Roman (German Edition)
Stirn. »Ist es wirklich so unwahrscheinlich? All die Zeit, die Zamorski im Gefängnis verbracht hat, geschlagen, erniedrigt und bedroht wurde …« Janusz war so aufgewühlt, dass seine Stimme versagte. Der alte Priester spähte durch das Gitter. »Vielleicht haben sie ja auch seine Familie unter Druck gesetzt, wer weiß?« Er hob eine Hand und ließ sie wieder sinken. »Gut, er hat das Geld der SB angenommen, aber welche Rolle spielt das noch, denn seine Seele hatte er ohnehin schon verkauft.«
Die beiden Männer schwiegen.
»Hast du dafür Beweise?«, fragte der Priester schließlich.
»Nein, aber ich denke, Adamski hat welche.« Janusz lehnte sich so weit nach vorne, dass seine Nase das Gitter berührte, und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Meiner Ansicht nach ist das, was er gegen Zamorski in der Hand hat, viel schwerwiegender als die Geburtsurkunde.« Er erinnerte sich an das Stück am Heftstreifen hängen gebliebene Pappe, der Überrest einer fehlenden Seite. »Struk war Elsters Kontaktoffizier. Ich glaube, Adamski hat in Struks Haus etwas gefunden – etwas, das belegt, dass Elster und Zamorski ein und dieselbe Person sind.«
Janusz sah, dass der alte Mann die Hände auf dem Schoß rang.
»Die SB hat Dokumente gefälscht, um Wałęsa anzuschwärzen«, wandte der alte Mann plötzlich in hoffnungsvollem Ton ein. »Vielleicht ist hier ja das Gleiche passiert.«
In den frühen Neunzigern hatten Medienberichte die Runde gemacht, Lech Wałęsa, damals Präsident von Polen, hätte früher heimlich unter dem Decknamen Bolek für die SB gearbeitet und seine Kollegen bei Solidarność bespitzelt. Wałęsa stritt alles ab, und die Angelegenheit wurde allgemein als ungeschickte Hetzkampagne ehemaliger SB -Offiziere abgetan. Hätte es jedoch Beweise gegeben, wäre seine Karriere mit einem Schlag vorbei gewesen – so wie dieser Skandal, falls er publik wurde, die von Zamorski beenden würde. Im Polen von heute mochte der Kommunismus wie ein Märchen aus längst vergangenen und düsteren Zeiten erscheinen, dachte Janusz. Doch Verrat an den polnischen Landsleuten verjährte nie.
»Wenn das alles nichts als Lügen sind«, sprach Janusz weiter, »warum ist Zamorski dann nicht in die Offensive gegangen und hat sich gewehrt wie Wałęsa damals, anstatt Adamski Zehntausende in den Rachen zu werfen, um die Sache zu vertuschen?«
Pater Piotr seufzte zittrig auf. Janusz hatte Mitleid mit ihm – es war schwer, mit anzusehen, wie ein Held vom Sockel gestoßen wurde.
Doch der Priester hatte noch einen letzten Einwand auf Lager. »Ich verstehe nicht, was Weronika mit der Angelegenheit zu tun hat, falls du recht haben solltest«, meinte er und verschränkte die Arme. »Wenn Adamski derart belastende Informationen über Zamorski besitzt, warum musste er dann mit seiner Tochter … durchbrennen?«
Die altmodische Ausdrucksweise brachte Janusz wider Willen zum Schmunzeln. »Ich bin nicht sicher. Vielleicht als Rückversicherung, falls Zamorski ihm gesagt hätte, er solle sich verpi… verschwinden.« In Wahrheit hatte er keine Antwort auf diese Frage. Was hatte Adamski davon, dass er Zamorskis Tochter verführte – außer dass er sich jede Menge Ärger damit einhandelte?
Der Priester lehnte sich an die Wand des Beichtstuhls. »Wenn diese Geschichte herauskommt, ist es sein Ende«, sagte er. »Und damit würden wir die beste Chance wegwerfen, die Polen seit einer Generation hatte.« Seine Stimme war ein heiseres Flüstern.
»Ich weiß«, antwortete Janusz und betastete die Beule auf seiner Stirn. »Und ich bin nicht sicher, ob ich das über mich brächte.«
Der Priester starrte ihn an.
»Wenn ich Adamski finde«, fuhr Janusz fort, »werde ich die SB -Dokumente über Zamorski vernichten, die er in seinen Besitz gebracht hat.«
Der Priester zögerte und zupfte an seiner Soutane. »Und Nowak? Wirst du ihm von deinem Verdacht erzählen?«
»Nein«, antwortete Janusz erschöpft. »Warum sollte ich ihn mit diesem Wissen belasten?« Er zog die breiten Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. »Ich erzähle es dir nur, weil es mir zu schaffen macht. Was meinst du? Ist es richtig, wenn ich Zamorskis Geheimnis für mich behalte?«
»Aus welchem Grund willst du es tun?«
»Weil es an der Zeit ist, die Vergangenheit ruhen zu lassen«, erwiderte Janusz leise. »Weil … ich der Letzte bin, der das Recht hat, einem anderen Mann seine Feigheit zum Vorwurf zu machen.« Plötzlich stieg eine Erinnerung an die Nacht im
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