Sündenfall: Roman (German Edition)
Richtung Radomil, der auf dem Kofferstapel saß und sich mit einem Taschenmesser die Fingernägel reinigte. »Mord, Vergewaltigung. Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne, richtig?«
Nowak warf einen Blick auf Radomil. »Es war mir nicht bekannt, dass es zu überflüssigen Verstößen gegen Sitte und Anstand gekommen ist«, entgegnete er stirnrunzelnd. »Ich billige derartige Dinge nicht.«
»Es wird Justyna sicher freuen, das zu hören«, höhnte Janusz.
Nowaks Miene verfinsterte sich. »Sie sind mir ja ein richtiger Pfadfinder. Sie kannten das Mädchen doch kaum, und Weronika sind Sie noch nie im Leben begegnet. Trotzdem führen Sie sich auf, als hätten Sie ein Familienmitglied verloren. Eigentlich geht es Ihnen doch nur um Ihre persönliche Eitelkeit, richtig?« Er schnaubte verächtlich. »Zumindest waren Sie deshalb einfach zu führen. Als Sie das Handtuch werfen wollten, brauchte ich nichts weiter zu tun, als Radomil anzuweisen, sich als Adamski auszugeben und Sie ein bisschen hart anzufassen. Schon war es eine Sache der persönlichen Ehre.«
Als er Janusz anstarrte, waren seine Augen so hart wie Bonbons. »Ich habe, was Sie betrifft, eine Theorie, mein Freund«, meinte er mit einem nachdenklichen Nicken. »Ihr moralisches Getue ist doch nur das Ergebnis von Schuldgefühlen.« Janusz hielt seinem Blick eine schiere Ewigkeit stand, bis er schließlich den Kopf senkte.
Natürlich hatte Nowak Nachforschungen über ihn angestellt. Nach der Revolution waren Hunderttausende von SB -Akten öffentlich zugänglich gemacht worden, und wenn jemand wusste, wie man sie las, dann er.
Inzwischen trug Nowak eine verständnisvolle Miene zur Schau. »Ihnen ist doch besser klar als den meisten Menschen, dass wir alle im Leben Kompromisse schließen müssen. Wenn Sie Ihre Freunde nicht verraten hätten, wären Sie im Gefängnis gelandet. Sie hätten keine Zukunft mehr gehabt.«
Plötzlich wurde Janusz von einem Schwindelanfall ergriffen, sodass er sich an den Armlehnen seines Stuhls festhalten musste. Zwei Tage nach seinem siebzehnten Geburtstag hatte die milicja ihn beim Sprühen von Solidarność -Graffiti erwischt und ins Gefängnis Montelupich verschleppt. Bevor sie ihn in der Zelle vernommen hatten, hatten sie ihm versichert, dass er ihnen die Namen seiner Freunde verraten würde, die ihnen entwischt waren. Anderenfalls würde er das Gebäude in einem Leichensack verlassen.
Die drei hatten ihn geschlagen, ihm die Kleider vom Leibe gerissen, ihn wie Mr Universum posieren lassen und seinen mageren Körper und die vor Angst zusammengeschnurrten kutas y verhöhnt. Als letzten Akt der Demütigung – eine Erinnerung, die er all die Jahre lang mit aller Macht verdrängt hatte – hatte einer von ihnen ihn angepinkelt. Nach vier oder fünf Stunden hatte Janusz dann geredet, und zwar wie ein Wasserfall. Seine drei Freunde wurden festgenommen, kamen aber mit einer Verwarnung davon. Erst viele Monate später hatte er erfahren, dass der Vorfall den Vater eines der Jungen, einen Staatsbediensteten, den Arbeitsplatz gekostet hatte.
Janusz sah Nowak ins Gesicht. »Eine Gefängnisstrafe hätte meine Zukunft nicht zerstört. Doch dass ich meine Freunde verraten habe, hat mich vernichtet.« Das stimmte. Wären die ständigen Schuldgefühle nicht gewesen, er hätte nie darauf beharrt, mit Iza zu der Demo in Danzig zu gehen. Oder er hätte sich zumindest verdrückt, als es gefährlich zu werden drohte. Dann wäre Iza heute noch am Leben gewesen.
Nowak machte ein erstauntes Gesicht, und die Haut rings um seine Augen schlug Falten. Doch Janusz hatte nicht vor, es näher auszuführen.
Wenn es nach Nowak ginge, würden russische Mafiosi und Oligarchen durch die Hintertür in Polen einmarschieren. Janusz malte sich die Folgen aus. Wie lange würde es dauern, bis neue Gesetze die Pressefreiheit einschränkten und »Verfassungsreformen« Präsident Zamorski zu noch mehr Macht verhalfen? Als ihm einfiel, wie begierig Nowak sich auf die SB -Akte gestürzt hatte, wurde ihm etwas klar.
»Zamorski ist der optimale Präsident für Sie und Ihre Freunde, richtig?«, fragte er. »Nicht, obwohl er ein Kinderschänder ist, sondern gerade deswegen .«
Nowak stand auf und ging zum Fenster.
»Sie brauchen die SB -Akte, damit Sie ihn vollständig in der Hand haben. Nur für den Fall, dass ihm Ihre Pläne, die Nationalparks zuzubetonieren und das Land an die Russen zu verschachern, doch nicht so schmecken sollten.«
Als Nowak sich endlich zu Janusz
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