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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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daran in Strömen herunterlaufende Kondenswasser in einem besseren Wohnviertel bereits viel früher zu neugierigen Blicken geführt hätten. Doch hier war man offenbar schon froh, wenn sich nebenan keine Mitglieder einer Bande oder Cracksüchtige tummelten. So war Nummer 49 nur rein zufällig aufgeflogen, und zwar wegen eines im Erdgeschoss ausgebrochenen Brandes.
    Bei ihrer Ankunft fuhr der Löschzug gerade ab. Das dreistöckige Haus qualmte noch, die Fensterscheiben im Erdgeschoss waren geschwärzt, doch mehr war nicht geschehen. Offenbar war das Feuer früh genug entdeckt worden. Als sie sich im stinkenden Flur, dessen geschnitzte Wandvertäfelung schwarz verschmiert war, um rußige Wasserpfützen herumtastete, bereute sie inzwischen, dass sie ihre Lieblingsschuhe angezogen hatte. Im Wohnzimmer, einst der gemütliche Salon einer viktorianischen Familie, fand sie einen Miniatur-Regenwald aus von den Schläuchen der Feuerwehrleute abgeknickten und vom Löschwasser durchweichten Marihuanapflanzen vor. An der Decke hingen Kabelstränge, die die riesigen Leuchtstoffröhren gespeist hatten. Das Gewirr aus Gummischläuchen am Boden hatte die Pflanzen vermutlich mit Wasser und der Graspflanzenversion von Babynahrung versorgt.
    »Hallo, du Schöne. Willst du zur Abwechslung mal sehen, was richtige Polizisten so treiben?«
    Als sie sich stirnrunzelnd umdrehte, sah sie ein vertrautes Gesicht vor sich, Gary, ein alter Kumpel aus dem Revier in der Romford Road, wo sie vor einigen Jahren gearbeitet hatte.
    »Gaz! Wie ist das Leben an der Front?«
    Gary war einige Jahre älter als sie – inzwischen weit über dreißig – und noch immer PC . Er war ihr Babysitter gewesen, als sie in der Probezeit zum ersten Mal Streife gegangen war. Doch nach einem ereignisreichen Abend, einem Einsatz bei einer Kneipenschlägerei zwischen Fußballhooligans, waren sie wirkliche Freunde geworden. West Ham hatte gerade seinen alten Gegner Millwall in Upton Park besiegt, eine Niederlage, die sich leicht zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen hochschaukeln konnte. Da Kershaw und Gary schlecht alle Streithähne ins Gefängnis stecken konnten, hatten sie die Ausweise der Rädelsführer kontrolliert und das Problem im Keim erstickt, ohne auch nur den Knüppel zücken zu müssen. Im Revier hatte Gary allen erzählt, Kershaw habe sich ins Getümmel geworfen »wie ein alter Hase«.
    »Sieht es im ganzen Haus so aus?«, fragte sie, nachdem sie sich ein wenig über dieses und jenes unterhalten hatten.
    »Ja. Das ist die Dritte diesen Monat«, erwiderte Gary kopfschüttelnd. »Aber das Beste hast du verpasst.«
    Offenbar hatte er bei seiner Ankunft vor dem brennenden Haus einige Anwohner bei einer Spontanfete angetroffen.
    »Das war ein toller Anblick. Ein CD -Spieler dröhnte, die Leute haben Bier getrunken und sind im Qualm herumgetanzt. Alle total zugedröhnt mit Ganja für umsonst«, meinte Gary und schüttelte grinsend den Kopf. »Das war wie Karneval in Notting Hill.«
    Kershaw lächelte zwar, doch ihr Blick war zweifelnd. Gary war vermutlich der am wenigsten rassistische Polizist, dem sie je begegnet war, aber sie hoffte dennoch, dass er sich in Gegenwart seiner Vorgesetzten vorsah. Solches Gerede konnte einen heutzutage ernsthaft in Schwierigkeiten bringen.
    »Wahrscheinlich sollen wir jetzt sauber machen, was?«, fragte sie.
    »Ins Schwarze getroffen, Detective.« Er grinste.
    Kershaw verbrachte die nächsten Stunden damit, ihren Sergeant dafür zu verfluchen, dass er ihr diesen alptraumhaften Fall aufgehalst hatte. Die frechen Mistkerle, Betreiber der Plantage, hatten sich mit kostenlosem Strom versorgt, indem sie einfach ein Kabel vom Laternenmast neben ihrer Gartenmauer ins Haus geleitet hatten. Also musste sie zuerst das Elektrizitätswerk anrufen, damit der Strom abgeschaltet wurde und im Haus keine Gefahr mehr bestand. Anschließend nahm sie ein halbes Dutzend Zeugenaussagen von Nachbarn auf (absolute Zeitverschwendung, aber sie würde sie trotzdem abtippen müssen) – und das Schlimmste kam erst noch. Kershaw, Gary und ein Polizeianwärter würden jede einzelne der mehr als tausend Pflanzen eintüten und beschriften und sie dann als Beweismittel in einen Laster verladen müssen.
    Alles nichts als Beschäftigungstherapie, denn es landeten immer nur die »Gärtner«, die untersten in der Rauschgiftpyramide, im Gefängnis – nie die großen Fische.
    Als Kershaw im Auto saß und ihre Zigarette zu Ende rauchte, kam Gary heraus, beugte sich durch die

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