Sündenfall: Roman (German Edition)
Sie versuchen, die Wasserleiche zu identifizieren. Aber verbringen Sie nicht den ganzen Tag damit.«
»Ja, Sergeant.« Sie zögerte. »Doch ich glaube trotzdem, dass derjenige, der der Frau das PMA gegeben hat – vielleicht ihr Freund, dieser Pawel –, die Panik gekriegt hat. Er könnte sie nach der Überdosis in den Fluss geworfen haben. Warum sonst sollte sie im Evaskostüm sein?«
Sie zuckte zusammen und rechnete schon mit einem Wutanfall. Aber er griff nur seufzend nach dem Bericht und blätterte ihn mit übertriebener Geduld durch.
»Die im Blut festgestellte PMA -Konzentration könnte zu Halluzinationen geführt haben« – er warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu –, »… die Körpertemperatur des Opfers ist vermutlich rasant angestiegen, was zu starken Missempfindungen geführt hat … Die Opfer einer PMA -Überdosis versuchen häufig, sich abzukühlen, indem sie ihre Kleidung ausziehen …« –, wieder ein Blick – »sich in nasse Handtücher wickeln oder kalt duschen …« Er klappte den Bericht zu und sah sie an. »Oder, vielleicht, Detective, da sie schließlich nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, indem sie in den verdammten Fluss springen!«
Inzwischen hatte Bacons Kinn die Farbe eines rohen Steaks, ein schlechtes Zeichen, weshalb Kershaw beschloss, das Schicksal nicht weiter herauszufordern. Er nahm ein anderes Stück Papier aus seiner Ablage und drückte es ihr in die Hand.
»Bitte sehr, Miss Marple, hier haben wir den optimalen Fall für einen Detective mit Interesse an pharmazeutischen Produkten. Verdacht auf eine Cannabisplantage in Leyton. Viel Vergnügen!«
Drei Stunden später saß Kershaw zitternd im Auto vor der Grasplantage. Der Motor lief, ein verzweifelter Versuch, das Wageninnere zu wärmen, während sie sich bei einer Zigarette zu erinnern versuchte, warum sie je zur Polizei gegangen war.
Ein Glück, dass der Beratungslehrer an der Poplar High School, der mit dem Pferdeschwanz und dem Ohrring, sie jetzt nicht sehen konnte. Als sie mit sechzehn verkündet hatte, sie wolle gern Detective werden, hatte er seine Missbilligung kaum verhehlen können. Ganz offensichtlich hatte er nicht viel für die Polizei übrig, konnte das allerdings schlecht laut aussprechen. Also hatte er eine mitfühlende Miene aufgesetzt und ihr einen Vortrag darüber gehalten, auf welche »Herausforderungen« sie als Frau in den männlich geprägten Strukturen bei der Polizei treffen würde. »Aber, Sir«, hatte sie geantwortet. »Kann man sexistische Institutionen nicht nur von innen heraus verändern?«
Eigentlich war die Polizei bei der Entscheidung für einen Beruf nicht ihre erste Wahl gewesen. Als Kind hatte sie ihre Freundinnen dazu überredet, Gerichtsverhandlung zu spielen, wobei die Küche als Old Bailey herhalten musste. Der umgekippte Küchentisch gab eine überzeugende Anklagebank ab, während der Richter, im roten Morgenmantel und mit einem Geschirrtuch als Perücke, von der Arbeitsfläche her die Verhandlung leitete. Doch der wahre Star der Veranstaltung war Natalie, die in Omas bestem schwarzen Samtmantel herumstolzierte, Zeugen im Kreuzverhör in den Boden stampfte und vor den Geschworenen – verkörpert von Denzil, dem Familienhund – leidenschaftliche Schlussplädoyers hielt. Soweit sie sich erinnern konnte, war sie stets die Staatsanwältin, nie die Verteidigerin gewesen. Erst als Jugendliche war ihr klar geworden, dass die Anwälte im Fernsehen immer Namen wie Rupert oder Jocasta hatten und redeten, als hätte man ihnen die Kiefer verdrahtet. Die Londoner Polizei mochte eine Männerwelt sein, doch zumindest konnte man es dort auch zu etwas bringen, wenn man aus Canning Town kam.
Die Cannabisplantage war in einem gewöhnlichen Reihenhaus in der Markham Road untergebracht, einer ruhigen Straße, auch wenn es zur schmuddeligen und von zwielichtigen Gestalten wimmelnden Hauptstraße von Leyton nicht weit war. Auf dem Weg hierher hatte Kershaw drei miese Typen beobachtet, die ihre Kampfhunde spazieren führten, bösartige Muskelpakete, vermutlich verbotene Züchtungen und ausgebildet, Menschen einzuschüchtern und anzugreifen. Natürlich hatte sie angehalten und ein Gespräch mit den Besitzern geführt. Ja, ja, schon gut .
Laut Bericht hatten die jungen Chinesen, die das Haus Nummer 49 vor vier oder fünf Monaten gemietet hatten, bei den Nachbarn keinen Verdacht erregt. Kershaw vermutete, dass das Kommen und Gehen zu den verschiedensten Uhrzeiten, die verdunkelten Fenster und das
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