Sündenfall: Roman (German Edition)
kostbares Kilo Zwetschgen auf, das noch hinten in seiner Tiefkühltruhe lag. Wie immer half ihm die schlichte Freude des Kochens – das Zuckerabwiegen, das Auspressen der Zitrone und der scharfe Herbstgeruch, als er die brodelnden Früchte umrührte – dabei, seine Gedanken zu ordnen. Bis es schrill an der Tür läutete, sodass er vor Schreck den Kochlöffel fallen ließ.
Als er die Gegensprechanlage betätigte, verkündete eine Mädchenstimme, sie sei von der Polizei. Er erstarrte kurz, machte dann aber auf – was hätte er auch sonst tun sollen? Dabei ließ er all seine jüngsten geschäftlichen Unternehmungen Revue passieren. Die Smeg-Geräte, die er für Slawek besorgt hatte? Gut, er hatte sie nicht direkt gestohlen , doch die Zahlweise – ein Geldbündel, in einem Pub an einen Menschen namens John übergeben – würde der Polizei sicher nicht gefallen.
Und dann noch die Episode in Adamskis Haus. Was, wenn jemand dennoch das Nummernschild des Transporters notiert und auf Oskar zurückgeführt hatte?
Janusz öffnete die Wohnungstür – und hätte beinahe laut losgelacht. Das Mädchen sah aus wie zwanzig. Herrgott, sie reichte ihm kaum bis an die Brust und war viel zu hübsch für eine Polizistin. Gut, sie hatte einen Dienstausweis, doch er schloss aus ihrem eleganten Hosenanzug, dass sie zivile Mitarbeiterin war – wahrscheinlich Stadtteilbeauftragte oder ein ähnlicher Mist. In einer wichtigen Angelegenheit hätten die wohl kaum ein Mädchen geschickt.
Kershaw nahm den von Kiszka angebotenen Kaffee an und setzte sich an den Küchentisch. Bei seinem Anblick war sie sofort von Aufregung ergriffen worden: Der Mann war zwei Meter groß und kräftig gebaut wie ein Kleiderschrank. Außerdem war er, nach dem Zustand seines Gesichts zu urteilen, in den letzten Stunden in eine heftige Auseinandersetzung verwickelt gewesen. Sie bemerkte, dass er zusammenzuckte und sich an die Seite griff, als er die Tassen von einem oberen Regalbrett holte. Also auch ein Rippenbruch . Offenbar hatte Janusz Kiszka einige Erfahrung mit Gewalt.
Während er das Kaffeepulver in ein altmodisches Filtrierkännchen aus Stahl löffelte, sah Kershaw sich in der Wohnung um. Die abgewetzte Kücheneinrichtung aus orangefarbenem Fichtenholz stammte noch aus den Achtzigern, und die Haufen von Werbepost und schmutzigem Geschirr auf der Arbeitsfläche wiesen eindeutig auf einen männlichen Single hin. Allerdings waren die teuer wirkenden Töpfe mit Kupferboden und der fruchtige Dampf, der vom Herd aufstieg, Indizien für eine Freundin oder Ehefrau.
»Das riecht aber lecker«, sagte sie. »Kocht Ihre Partnerin gern?«
»Partnerin?« Er lachte auf. »Ich lebe allein.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Außerdem ist das kein richtiges Kochen – nur ein bisschen kompot .«
Nicht zu fassen, dachte sie . Osteuropäische Gangster kochen Marmelade.
Als das Filtrierkännchen blubberte, servierte Janusz den Kaffee in Tassen mit Unterteller und bot dem Mädchen Milch in einem Porzellankännchen an – schließlich war sie ein Gast. Dann setzte er sich ihr gegenüber und stützte beide Unterarme auf den Tisch. »Lassen Sie mich raten«, meinte er mit einem entschuldigenden Grinsen. »Einer meiner Nachbarn hat angerufen, um sich zu beschweren, weil es heute Morgen ein bisschen laut war?«
Kershaw trank einen Schluck von dem unbeschreiblich starken Kaffee. Die herablassende Art des Mannes und seine entspannte Körpersprache brachten sie zu der Vermutung, dass er sie nicht ernst nahm, weil sie eine Frau war. Nun, wenn das hieß, dass er weniger vorsichtig sein würde, umso besser. Während er ihr ein Märchen auftischte, er sei beim Aus-der-Dusche-Steigen ausgerutscht und habe den Badezimmerspiegel zerbrochen, musterte sie ihn diskret.
Über vierzig mit dunkelbraunem Haar. Ziemlich lang, wie es schon seit den Neunzigern nicht mehr in Mode war, und außerdem grau meliert. Nicht unattraktiv, wenn man auf den Macho-Look stand.
»Haben Sie sich so das Gesicht verletzt, Sir, bei dem Unfall mit dem Spiegel?«, fragte sie und runzelte anteilnehmend die Stirn.
Er zögerte, nickte und berührte die geschwollene Stelle. Mist, er hatte fast vergessen, wie übel er zugerichtet war.
Sie hob die Kaffeetasse an die Lippen. »Und die Beule an Ihrem Nacken?«, meinte sie und sah ihn über den Tassenrand hinweg an. Er wollte schon zustimmen, als ihm klar wurde, wie unglaubwürdig das war.
»Offen gestanden war ich gestern Abend in einen Autounfall
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