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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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in den Spiegel. Als sein Spiegelbild zerbrach und vom zersplitterten Glas verzerrt wurde, grinste er wölfisch. »Warte nur, bis ich dich kriege, du skurwysyn «, sagte er.
    Etwa eine Minute später wurde heftig an die Tür geklopft. Ein Knäuel zusammengeballtes Klopapier um die Hand gewickelt, um den Blutfluss aus den frischen Schnittwunden einzudämmen, riss Janusz so heftig die Wohnungstür auf, dass sie gegen die Wand prallte und eine Staubwolke aufstieg. Es war sein Nachbar, ein hagerer Typ mit schicker, dickrandiger Brille, der, wie Janusz glaubte, in einer Kunstgalerie arbeitete. Oskar beharrte darauf, dass er schwul war. Allerdings war für Oskar ein handwerklicher Beruf der einzige in Stein gemeißelte Beweis für Heterosexualität.
    Bei Janusz’ Anblick blieb dem Mann der Mund offen stehen.
    »Ich habe … ich wollte nur … ich …«
    Offenbar hatte es ihm die Sprache verschlagen.
    »Ich glaube, ich habe gehört … oder ich glaube , dass ich gehört habe …«
    »Mir ist eine Tasse runtergefallen«, erwiderte Janusz mit unbewegter Miene. »Wollen Sie vielleicht reinkommen und nachsehen?« Mit einer ausladenden Geste wies er auf die Wohnung. »Viel Vergnügen.«
    »Nein. Nein!« Der Mann hatte inzwischen beide Hände mit ausgebreiteten Handflächen ausgestreckt und wich in den Flur zurück.
    Erst in diesem Moment fiel Janusz ein, dass er splitternackt war.
    »Entschuldigen Sie«, rief er seinem Nachbarn nach.
    Er stellte die Dusche so heiß wie möglich ein und versuchte, die Bedeutung dieser nächtlichen Heimsuchung zu ergründen, während das Wasser auf seinen zerschundenen Körper herunterprasselte.
    Adamski – wer sonst? – hatte offenbar erfahren, dass Janusz ihm auf den Fersen war, und ihn bis zur Wohnung verfolgt. Natürlich konnte der chuj nicht ahnen, dass er bereits die Waffen gestreckt hatte.
    Gerade hatte er sich von Kopf bis Fuß eingeseift, als das Telefon läutete. Janusz stieß einen Fluch aus und wollte es schon einfach weiterläuten lassen, als ihm einfiel, dass es auch Kasia sein konnte, die vor ihrer Schicht anrief. Vielleicht bereute sie ja ihren albernen Streit vor zwei Tagen und wollte sich versöhnen. Also marschierte er ins Wohnzimmer und rubbelte sich dabei mit einem Handtuch kräftig den Schaum von der Haut.
    »Cze ść ?« , sprach er in den rissigen Hörer.
    »Störe ich dich bei irgendwas?« Es war Marta, die wie immer sofort zum Angriff überging.
    »Nein, Marta, ich habe nur geduscht«, erwiderte er.
    » Naprawd ę , Janusz, nie erreiche ich dich. Hast du noch immer kein neues Mobiltelefon?«
    Er warf einen Blick auf das schwarze längliche Gerät, das blinkend in seinem Ladegerät auf dem Kaminsims stand.
    »Ich bin immer noch auf der Suche nach einem guten Anbieter und informiere mich«, antwortete er barsch und zog das Handtuch um die Schultern zusammen. »Was willst du?«
    Sie schlug den verständnisvollen Tonfall an, bei dem er immer mit den Zähnen knirschte.
    »Ich weiß, wie beschäftigt du bist, Janek, aber Bobek wird nächsten Monat dreizehn, und du hast ihn schon seit über sechs Wochen nicht angerufen.«
    Verdammt, war es wirklich fast vierzehn Jahre her, seit sie, leichtsinnig und im Suff, versucht hatten, noch einmal von vorne anzufangen? Er erinnerte sich, dass er am nächsten Morgen aufgewacht war und langsam den Blick an den Landschaftsaquarellen scharf gestellt hatte, die die Wand zierten. Marta hatte ein wenig Talent als Malerin und unternahm anrührende, aber klägliche Versuche, die triste Zelle in dem sowjetischen Wohnblock am Stadtrand von Warschau, die einmal ihr gemeinsames Zuhause gewesen war, optisch aufzuheitern. Im nächsten Moment hatte er ihren Körper neben sich gespürt und dann die plötzliche Angst, als ihm ihr geflüstertes »Kein Gummi« einfiel.
    »Ich habe ihm an Weihnachten Geld geschickt«, protestierte Janusz, kauerte sich im Handtuch neben die Heizung und unterdrückte ein Aufstöhnen, als ihm ein stechender Schmerz durch die Rippe fuhr.
    »Oh, der Scheck war wundervoll«, verfiel Marta in ihren üblichen Sarkasmus. »Lass mal schauen. Er konnte damit Fußball spielen gehen, er hat ihm bei den Hausaufgaben geholfen, er hat ihm eine Tracht Prügel eingebracht, weil er ein Messer in die Schule mitgenommen hat …«
    »Er hat ein Messer in die Schule mitgenommen? Um Himmels willen, Marta!« Plötzlich wurde Janusz von der völlig unbegründeten Befürchtung ergriffen, Bobek könnte einmal so enden wie Adamski. »Du musst strenger

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