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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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rechts von ihm, und schlagartig war es ihm sonnenklar, obwohl er nicht sagen konnte, warum: Da hat sich dieser Schweinekerl versteckt. Doch plötzlich geriet einer seiner Absätze auf dem vom Dunst glitschigen Kopfsteinpflaster ins Rutschen. Er stieß einen Fluch aus, als ein Mann hinter der Treppe mit dem Drachenkopf hervorgestürmt kam und in Richtung Wasser rannte, sodass die Möwen kreischend auseinanderstoben.
    Als Janusz sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, hatte der Mann den Torbogen am Ende der Straße fast erreicht und hastete mit fliegendem Ledermantel weiter.
    Janusz heftete sich mit wild klopfendem Herzen an seine Fersen.
    Ledermantel , Hut … Also war er doch nicht dabei, den Verstand zu verlieren: Es war tatsächlich der Kerl, den er am Morgen am Ufer beobachtet hatte.
    Obwohl sich die zwischen den Mauern dahinwälzende Menschenmenge am Ufer ausgedünnt hatte, konnte er den Mann nirgendwo entdecken. Die gelblich schimmernden Nebelschwaden, die aus der Mot ł awa aufstiegen, hüllten die Beine der verbliebenen Touristen ein. Rechts oder links? Auf gut Glück ging er nach links, wo die Uferpromenade am belebtesten war, sodass der Mann dort mühelos im Gewühl untertauchen konnte.
    Während der nächsten Minuten schlängelte Janusz sich durch die dahinschlendernden Menschen, wobei er mit dem Fuß immer wieder an den Rädern eines Kinderwagens hängen blieb oder einer Hausfrau die Handtasche von der Schulter stieß, sodass er Entschuldigungen verstreute wie Konfetti – przepraszam , przepraszam . Allerdings sah er niemanden mit Hut, nur viele Wollmützen. Erst als zwischen einem Paar mittleren Alters, das Hand in Hand etwa dreißig Meter vor ihm herging, kurz eine Lücke entstand, weil die Frau die Speisekarte eines Restaurants studierte, erhaschte Janusz einen Blick auf einen breiten, in Leder gehüllten Rücken, der sich schnell, aber unauffällig entfernte. Inzwischen war der kurz geschorene Schädel des Mannes hutlos. Natürlich.
    Janusz wurde langsamer, beugte ein wenig die Knie, um nicht über die anderen Passanten hinauszuragen, und verfolgte seine Beute mit den Augen. Er bemerkte, dass seine Rippe nicht mehr wehtat, und erinnerte sich, dass er irgendwo gelesen hatte, Adrenalin sei ein sehr wirksames Schmerzmittel.
    Da der Mann den Fluss rechts von sich hatte und es keine Möglichkeit mehr gab, nach links abzubiegen und in die Altstadt zurückzukehren, saß er an der Uferpromenade in der Falle und würde bald die letzten Läden und Cafés erreicht haben. Der Fußweg setzte sich zwar am Ufer entlang fort, doch da die meisten Touristen hier kehrtmachten, konnte er sich nicht mehr hinter ihnen verstecken.
    Als Janusz die gewaltigen Wohnblocks aus der Sowjetzeit vor sich erkannte, wurde ihm klar, dass er sich in Danzig noch ausgezeichnet zurechtfand. Wenn der Mann sich durch die Siedlung ins Landesinnere verdrückte, standen ihm Dutzende verschiedene Fluchtwege offen, sodass Janusz ihn sicher aus den Augen verlieren würde. Ging er jedoch weiter am Fluss entlang, gab es für ihn kein Entrinnen mehr.
    Janusz hatte den Fußweg am Ufer noch klar und deutlich im Gedächtnis. Falls nichts drastisch verändert worden war, würde der Pfad rasch schmaler werden. Auf der dem Land zugewandten Seite erhob sich dann die hohe Mauer der alten Danziger Werft und versperrte jeden Fluchtweg. Fünfhundert Meter weiter endete der Weg schließlich unvermittelt. Der Bursche würde in der Falle sitzen wie eine Ratte.
    Janusz stellte fest, dass der Mann etwa dreißig Meter vor ihm war und das Ende der belebten Uferstraße erreicht hatte. Rasch blickte er sich um, als er die schützende Menschenmenge hinter sich ließ. Janusz konnte seine Züge zwar nur kurz erkennen, doch sie prägten sich unauslöschlich in sein Gedächtnis ein – ein Gesicht wie eine geballte Faust.
    Als die Menschenmenge dünner wurde, suchte Janusz hinter einer Reklametafel Deckung und spähte um den Rand herum. Der Schritt des Mannes war rasch, aber ruhig – vielleicht glaubte er ja, seinen Verfolger abgehängt zu haben. Sein wiegender Gang und die für seine Körpergröße unnatürlich breiten Schultern erinnerten Janusz an einen Sicherheitsmann und Bodybuilding-Fanatiker, den er früher zu Hause gekannt hatte.
    Kurz darauf erreichte der Mann den dem Fluss zugewandten Eingang zur Wohnblocksiedlung, Janusz hielt den Atem an. Würde er ihm im Gewirr der Fußwege entkommen? Doch er blieb nicht einmal stehen, sondern eilte auf dem Pfad weiter. Bravo!

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