Sündenfall: Roman (German Edition)
, murmelte Janusz leise.
Sobald Janusz sicher war, dass der Kerl den Punkt ohne Wiederkehr erreicht hatte, zählte er bis drei. Dann sprang er aus seinem Versteck hervor und fing an zu rennen. Er sprintete den Fußweg am Fluss entlang, ohne darauf zu achten, dass die Passanten erschrocken nach Luft schnappten, und behielt die in Nebel gehüllte Gestalt in der Ferne dabei gut im Auge. Er hörte das Tuckern der Dieselmotoren und die blechernen Klänge eines Seemannslieds, als ein umgebautes Fischerboot, das Touristen hinaus zur Küste in Westerplatte brachte, an ihm vorbeikam. Den Passagieren blieb beim Anblick des Mannes mittleren Alters, der im Laufschritt den Fußweg hinunterhastete, vor Staunen der Mund offen stehen.
Hinter der Wohnsiedlung ging der geteerte Weg in Kies und Erde über, und links ragte der hohe Zaun der inzwischen geschlossenen Werft auf, genau wie Janusz es in Erinnerung hatte. Inzwischen waberte der Nebel vom Fluss heran wie Trockeneis, und Janusz’ Atem ging stoßweise, als er in tiefen Zügen die feuchtkalte Luft in die Lunge sog. Er rannte an einem der alten Werftgebäude vorbei, dessen Wände mit Graffiti beschmiert waren – die Solidarno ść -Slogans seiner Jugend waren von Banden-Tags abgelöst worden. Als er mit dem Fuß an einer im immer dichter werdenden Gestrüpp verborgenen Rolle mit verrostetem Stahlkabel hängen blieb, geriet er heftig ins Stolpern.
Durch eine Lücke im Nebel bemerkte Janusz, dass der Mann im Ledermantel inzwischen nur noch knapp fünfzig Meter entfernt war und sich einer scharfen Linkskurve im Fluss näherte. Kurz vor der Biegung schaute er sich zum ersten Mal um und rannte los, als er seinen Verfolger entdeckte.
Ein gehässiges Grinsen auf den Lippen, beobachtete Janusz, wie er verschwand. Nur zu gerne hätte er das Gesicht des skurwysyn gesehen, wenn er feststellen musste, dass es nicht mehr weiterging, weil der Zaun der Werft dort eine Kurve beschrieb und bis zum Fluss reichte. Nur noch wenige Sekunden, dann war es so weit. Janusz betastete die verkrustete Wunde, die das Messer vor zwei Nächten an seinem Hals hinterlassen hatte, und wurde langsamer, um das Gebüsch neben ihm nach etwas abzusuchen, das sich als Waffe benutzen ließ. Er entdeckte eine verrostete, aber stabile Eisenstange, umfasste sie fest und pirschte dann leise um die Biegung. Er keuchte, und das Blut rauschte ihm in den Ohren.
Siebzig Meter vor ihm verlief der kahle Drahtzaun der Werft wie eine Klippe nach rechts und blockierte den Weg. Doch dieser war menschenleer. Allerdings musste Janusz nicht lange auf die Antwort warten. Das Touristenboot, das ihn vor wenigen Minuten passiert hatte, stand nun in einem scharfen Winkel zum Ufer. Und an der Reling am Heck, eingehüllt in brodelnde Gischt und den Qualm der Dieselmotoren, stand der Mann im Ledermantel. Er steckte etwas in die Innentasche seines Mantels. Hinter ihm stand ein Mitglied der Besatzung und holte ein Landungstau ein.
Janusz knirschte mit den Zähnen – offenbar hatte dieser Hurensohn mit einem Bündel z ł otych gewinkt, um die Besatzung zu überreden, anzulegen und ihn an Bord zu nehmen. Nun nahm er etwas aus dem Ledermantel. Er setzte den Hut wieder auf und breitete, weiter an der Reling stehend, die Arme aus wie ein Tourist, der die Aussicht genoss. Das Boot war zu weit draußen, als dass Janusz den Gesichtsausdruck des Kerls hätte erkennen können, doch seine Körpersprache strahlte triumphierende Überheblichkeit aus.
Eine halbe Stunde später schleppte sich Janusz, völlig ausgepumpt von der körperlichen Anstrengung, durch die Dämmerung die in Nebel gehüllte Uferpromenade entlang. Als der Adrenalinrausch nachließ, begann seine Rippe beharrlich zu pochen, während sich in seinem Kopf die Fragen überschlugen. War der Kerl im Ledermantel Pawel Adamski? Der kräftige Körperbau hätte zu dem maskierten Einbrecher gepasst, der ihm ein Messer an die Kehle gehalten hatte. Außerdem fiel Janusz sonst niemand ein, der Grund haben könnte, ihn zu verfolgen. Offenbar war Adamskis Versprechen, ihn umzubringen, wenn er nicht aufhörte, nach Weronika zu suchen, keine leere Drohung gewesen.
Plötzlich fiel ihm sein Bus nach Gorodnik ein. Janusz schaute auf die Uhr – und stöhnte entnervt auf. Er war vor drei Minuten abgefahren. Nun würde er die Nacht in der Stadt verbringen müssen. Er versuchte, die Dinge positiv zu sehen. Wenigstens musste der Ledermantel jetzt einen unfreiwilligen Ausflug nach Westerplatte unternehmen,
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