Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)

es vielleicht nur noch eine Frage der Zeit.»
    Die Tropfen, die auf das steigende Wasser unten an der Church Street trommelten, ließen die Straße aussehen wie eine aufgewühlte See.
    «Und wenn es weiterregnet?»
    «Dann müssen wir uns vermutlich auf eine Evakuierung einstellen.»
    «Wissen die Leute das?»
    «Wir haben ein paar Leuten in der Siedlung gesagt, dass sie ihr Wertgegenstände oder gute Möbel besser in den ersten Stock bringen sollten. Aber das will natürlich keiner hören.»
    «Kann ich auch etwas tun? Wir haben Gästezimmer im Pfarrhaus.»
    «Erzählen Sie das bloß niemandem. Wir legen den Leuten nahe, zu Verwandten zu gehen, am besten außerhalb des Dorfes.»
    «Sie sollen das Dorf verlassen?»
    «Ich sag’s nicht gern, aber welche Alternativen haben wir? Der Bezirksrat hat in der gesamten Region mit Überschwemmungen zu tun, und in manchen Orten ist es viel schlimmer als hier. Die müssen Prioritäten setzen. Wenn das alles vorbei ist, kriegen die Planungsfuzzis ihr Fett weg, weil sie so nahe am Fluss Baugenehmigungen erteilt haben, aber das wird schließlich überall gemacht.»
    «Aber was kann ich tun?»
    «Tun? Tun Sie gar nichts. Und sparen Sie Ihre Gästezimmer für eventuelle Notfälle auf. Inzwischen können Sie nur normal weitermachen und darauf hoffen, dass es aufhört zu regnen, damit der Pegelstand sinkt.»
    «Und beten.»
    «Aber wenn es geht, nicht auf der Straße.» James blies die Backen auf. «Am besten wäre es, wenn man diese verdammte Frau in irgendeinen Keller sperren könnte, bis das alles vorbei ist.»
    «Shirley West?»
    «Sie besteht nur noch aus Gejammer und Händeringen, sobald sie ein Publikum findet. Das ist der Anfang vom Ende, sagt sie. Die große Flut wird unsere Sünden hinwegwaschen. Oder um genauer zu sein,
Ihre
Sünden, Merrily. Es war, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, nicht gerade der ideale Zeitpunkt, um diese Predigt zu halten.»
    «Es musste gesagt werden, James.»
    «Nein, musste es nicht.» James schüttelte den Kopf. «Das kümmert doch keinen, Merrily. Es interessiert die Leute nicht die Bohne, welche spirituelle Bedeutung diese verdammten Steine auf Coleman’s Meadow haben oder welche Steinzeitmenschen sie dort aufgestellt haben. Niemand will das wissen, außer Ihnen … und
ihr
. Ehrlich gesagt kommt es mir so vor, als würden Sie sich wegen Ihres … zweiten Amtes mit manchen Themen stärker befassen als nötig.»
    «Oh.»
    «Tut mir leid.»
    «Nein. Nein, Sie haben recht. Ich habe überreagiert. Es ist lächerlich. Aber sie macht mir Sorgen. Vor ein paar Monaten war sie noch ständig in der Messe, hat diese unangenehme Demut zur Schau getragen, aber immerhin war es Demut … und jetzt …»
    «Hmm.»
    «Was?»
    «Wissen Sie», sagte James, «gestern war Alison in Leominster. Dort liegen überall Flyer von dieser Kirche des Heiligen Lichts oder so rum.»
    «Kirche vom Herrn des Lichts. Shirleys andere Gemeinde.»
    «Richtig, so hießen sie. Das sind solche Wiedergeborenen-Typen. Feiern ihre Messen in einer ehemaligen Lagerhalle in einem Gewerbegebiet. Das sind wirklich komische Vögel. Die Mitglieder dürfen nicht im Bioladen einkaufen. Kapier ich nicht. Eins sollten Sie allerdings wissen, falls Sie es nicht schon tun … diese Kirche scheint ein Ableger von dieser Erweckungsbewegung zu sein, die sich vor ein paar Jahren im Radnor Valley ausgebreitet hatte.»
    «Ellis?» Merrily zuckte zusammen. «Nick Ellis ist zurück?»
    «Nein. Beruhigen Sie sich. Ich habe gesagt, ein
Ableger
. Dieser Knabe kann sich hier bestimmt nicht mehr blickenlassen. Andererseits … ist er in Leominster allgegenwärtig, und zwar auf den ganzen Flyern und Plakaten, auf denen er in seinem weißen Predigergewand abgedruckt ist.»
    «Ich war schon seit ein paar Wochen nicht mehr in Leominster.»
    «Ja, sonst wären Ihnen die Plakate aufgefallen.»
    Vater Ellis. Die Hysterie, das Reden in Zungen, das
innere Wirken
für Frauen, die vom Dämon der Lust besessen waren. All die Anklagen, die gegen Ellis hätten erhoben werden müssen, inklusive sexueller Übergriffe und Sachbeschädigung, doch er war mit allem davongekommen.
    «Der Herr des Lichts … er gehörte zu einer anglikanischen Charismatikerbewegung namens See des Lichts, wurde ihnen aber dann zu extrem. Zuletzt habe ich gehört, er wäre angeblich in Amerika.»
    Böse Ahnungen stiegen in Merrily auf.
    «Ich war bereit, gegen ihn auszusagen, James, aber außer mir wollte es niemand tun, und die