Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
Sarkophag.
»Maharet«, las Lena. »Warum wurden nur die Töchter zu Hüterinnen, warum nicht die Söhne?«
»Weil die Söhne im römischen Heer dienten. Niemals sollten sie in Versuchung geraten, gegen das mütterliche Erbe zu Felde zu ziehen. Die Söhne erfuhren nur vom Mythos. Eine spannende Geschichte, nicht mehr. So wird es noch heute weitergegeben, und sei es nur, um die Abenteuerlust der Jungen zu zügeln. Töchter können ein Geheimnis wahren, ohne es ans Licht zerren zu wollen. Aber wenn ich an Philip denke … Wenn er wüsste, dass es diese Stadt wirklich gibt, hätte er längst danach gesucht. Dann hätten sich womöglich Schakale in Menschengestalt an seine Fährte geheftet und den Ort entweiht.«
»Du hast diese Stadt also niemals gesehen? Warum bist du dir dann so sicher, dass sie mehr als ein Mythos ist?«
»Wenn du dir die Sarkophage ansiehst, findest du die Hinweise. Sie wurden jedoch bereits vor Jahrhunderten entfernt. Sieh her!« Meret beleuchtete den Rand von Pertinax’ Sarg. Was Lena im Halbdunkel für Ornamente gehalten hatte, waren in Wirklichkeit die Spuren eines Meißels, der irgendetwas fein säuberlich herausgeschlagen hatte.
»Hier wäre das Geheimnis allzu leicht zu lüften gewesen«, erklärte Meret. »Deshalb haben die Hüterinnen die Symbole entfernt und eine andere Möglichkeit gefunden, den Weg nach Djeseru-Sutech in unserem Gedächtnis zu erhalten. Jede Hüterin webt im Lauf ihres Lebens drei Teppiche, die das Geheimnis dieser Stadt in sich tragen. Wenn der dritte Teppich vollendet ist, werden die alten Geheimnisträger zerstört. So bleibt der Weg in unseren Herzen und Köpfen, ist aber den Uneingeweihten für alle Ewigkeiten versperrt.«
»Aber wozu?«, fragte Lena. »Wozu wird dieses Wissen weitergegeben, wenn sich nie jemand nach Djeseru-Sutech aufmacht? Vielleicht gibt es die Stadt gar nicht mehr. Und wenn sie nicht gefunden werden soll, wäre es dann nicht besser, ihr Geheimnis ganz dem Vergessen anheimzugeben?«
»Es heißt, irgendwann werde Djeseru-Sutech sich wieder zeigen, denn an diesem Ort werde das gesamte Wissen der Alten Welt gehütet. Weiter heißt es, in Djeseru-Sutech gebe es Ärzte, die jede Krankheit heilen könnten, Gelehrte, die Antworten auf alle Fragen wüssten. Soll der Weg zu diesem Quell des Wissens wirklich für immer versperrt sein?«
Das gesamte Wissen der alten Welt … Ärzte, die jede Krankheit heilen können, schoss es Lena durch den Kopf. Auf einmal fühlte sie sich schmerzhaft an ihren leeren Schoß erinnert. Ob es an einem Ort wie Djeseru-Sutech wohl Heilung gab?
»Nein, gewiss nicht«, antwortete sie nach einer Weile und spürte zugleich, wie ein neuer Gedanke von ihr Besitz ergriff. Wenn es diese Stadt wirklich gab, wäre es dann nicht an der Zeit gewesen, sie erneut zu suchen? Wie von selbst glitt ihre Hand zu dem goldenen Anhänger der Göttin Isis. Meret hatte recht, Philip hatte immer davon geträumt, die Stadt irgendwann zu finden, das hatte er ihr am Tag ihrer Hochzeit gesagt. Damals hatte sie es für eine seiner Geschichten gehalten, doch inzwischen war alles anders geworden. Das Wissen der alten Welt … Der Gedanke ließ sie nicht mehr los.
Sie dachte noch darüber nach, als es längst Abend geworden war und die Großfamilie sich zum Essen versammelte. Thea war diesmal pünktlich, aber sehr schweigsam. Ob sie wohl Schuldgefühle wegen ihres Übergriffes letzte Nacht hatte? Doch sofort verwarf Lena den Gedanken wieder. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Thea so etwas wie ein schlechtes Gewissen überhaupt kannte. Im Gegenteil – obwohl die Räuberin so still war, wirkte sie zufrieden wie ein Kind, dem jemand ein wundervolles Geschenk gemacht hat. Lenas Blick wanderte weiter zu Philip. Seine Aufmerksamkeit galt Bertram. Fast kam es ihr so vor, als führe der Ritter ein wortloses Zwiegespräch mit seinem Knappen. Sie hatte ihren Gatten während des ganzen Tages nicht gesehen, wusste nicht, was derweil geschehen war. Hatte Bertram sich geöffnet? Wusste Philip, was den Jungen quälte?
Said saß Sophia gegenüber. Die beiden warfen sich so innige Blicke zu, dass Lena sich fragte, ob Meret die Gefühle ihrer Tochter tatsächlich noch nicht bemerkt hatte.
»Ich habe nachgedacht«, begann Philips Großvater das Tischgespräch, nachdem die Mägde ihnen aufgetragen hatten. Gefüllte Teigtaschen, Reis mit Früchten, dazu Fladenbrot.
Philip hob den Blick. »Worüber, Großvater?«
»Du hast Thea in unser Haus gebracht, da du
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