Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
einen gewirkten kleinen Wandbehang, nicht größer als die Sitzfläche eines Stuhles.
»Den hat Said mir von seiner Reise mitgebracht.«
Thea erkannte eine jener Handarbeiten, für die das Harzgebirge berühmt war. Meist zeigten diese Gewirke religiöse Szenen und wurden sowohl in Klöstern als auch in weltlichen Werkstätten hergestellt. Doch auf diesem Stück war keine fromme Darstellung zu sehen, sondern ein Garten mit üppigen Blumen hinter dichten Hecken.
»Oh«, stellte die Räuberin mit anzüglichem Augenzwinkern fest. »Er hat dir ein Bildnis des verschlossenen Gartens geschenkt? Ich glaube, dann wird es höchste Zeit, dass du ihn einlässt.«
Sophia errötete abermals, denn der verschlossene Garten galt als Symbol der Jungfräulichkeit.
»Aber er tut niemals etwas Unrechtes«, beteuerte Sophia.
»Was ist unrecht daran, der Liebe zu huldigen?«
»Es heißt, der Weg zur Hölle beginnt mit der Fleischeslust.«
»Es heißt auch, Gott ist die Liebe und Vergebung, nicht wahr?«
Sophia nickte.
»Und Gott sprach zum Menschen: Seid fruchtbar und mehret euch! Richtig?«
Wieder nickte Sophia.
»Warum sollte dann etwas Gottgewolltes in die Hölle führen?«
»Weil … weil nur der Segen der Ehe die …« Sophia brach ab und wich Theas Blick aus.
»Waren Adam und Eva verheiratet?«, bohrte Thea nach.
»Gott gab Eva dem Adam zur Gefährtin.«
»Adam und Eva gehörten vor Gott zusammen, weil Gott es so beschlossen hatte. Gott schenkt die Liebe, nicht der Satan. Wenn zwei Menschen sich lieben, dann hat Gott sie schon gesegnet, denn vor ihm sind sie ein Paar. So wie Adam und Eva.«
»Du legst die biblische Geschichte sonderbar aus.«
Thea lächelte. »Denk einmal darüber nach, Sophia! Es ist nichts Schlimmes daran, einen Menschen körperlich zu lieben. Im Gegenteil, es war Gottes Wille, sonst hätte er die Menschen doch nicht als Mann und Frau erschaffen und ihnen die Fähigkeit gegeben, Lust zu empfinden.«
»Aber … aber warum heißt es dann immer, Unzucht sei der Weg zur Hölle?«
»Wenn ein Mann einer Frau Gewalt antut, so tritt er Gottes Gabe mit Füßen. Und dieser Mann ist damit der Hölle verfallen. So einfach ist das. Aber was aus Liebe geschieht, ist gottgefällig.«
»Die Priester sprechen anders.«
»Ein klares Verbot ist leichter einzuhalten, als den Verstand zu gebrauchen. Männer haben damit oftmals ihre Schwierigkeiten. Aber du bist doch klug, Sophia. Du weißt, dass Said in deinem Herzen längst dein Mann ist.«
Sophia schwieg, und Thea beobachtete, wie der Keim, den sie in die Seele des Mädchens gepflanzt hatte, langsam aufging. Sie hatte es schon öfter beobachtet. Auf diese Weise hatte die alte Gundula über die Seelen der Christenmenschen Macht gewonnen. Obwohl Gundula eine Heidin war, kannte sie die biblische Geschichte, aber sie wusste auch um deren Schwachstellen.
Der kleinen Katze war es inzwischen auf der Polsterbank zu langweilig geworden, und mit erstaunlichem Geschick sprang sie hinunter und sah sich in Sophias Gemach um. Während Sophia noch über Theas Worte nachsann, hatte es einen geeigneten Spielplatz gefunden – Sophias Knüpfrahmen, auf dem ein halb fertiger Teppich aufgespannt war.
»O nein!« Sophia sprang auf, als sie sah, wie das Kätzchen die Krallen am Teppich wetzte und sich dabei in dem Gewebe verfing. Hastig zog sie es zurück.
»Das darfst du nie wieder tun!«, tadelte sie, als spräche sie mit einem Kind. »Dieser Teppich ist heilig.«
»Seit wann sind Teppiche heilig?« Thea trat neugierig näher.
»Nun, er ist … etwas Besonderes.«
»Ein Geschenk für deinen Liebsten?« Thea betrachtete die seltsamen Schriftzeichen, die in die Wolle eingewebt waren. »Für den Hüter deines Herzens?«
»Nein.« Sophia schüttelte heftig den Kopf. »Es ist nur eine alte Familientradition.«
»Mit erbaulichen Sinnsprüchen? Oder was steht dort geschrieben?« Thea ließ die Finger über die schon fertiggestellten Symbole gleiten. Ihr fiel auf, dass ein Teil dieser Symbole mit roter Wolle herausgearbeitet waren, während die übrigen in Blau gehalten waren.
»Nein, keine erbaulichen Sprüche. Jede Frau unseres Hauses knüpft im Lauf ihres Lebens drei solcher Teppiche.«
»Und was hat es damit auf sich?«
»Es ist ein alter Mythos. Meine Mutter behauptet, wir seien die letzten Hüterinnen einer verborgenen Welt.« Sophia lachte. »Sie berichtet gern über solche Legenden.«
»Ich liebe Sagen und Märchen. Philip hat uns einige an Bord der Windsbraut
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