Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Querstraßen weiter um die Ecke bog, ihn hören könnte. Sie hatten Jos Honda so geparkt, dass er von der Villa aus nicht zu sehen war, und warteten seit einer guten Stunde darauf, dass jemand herauskam oder hineinging.
Im Rückspiegel näherte sich die Gestalt eines großen schlanken Mannes. Er hatte einen etwa zehnjährigen Jungen an seiner Seite. Die beiden unterhielten sich. Das Kind hielt die Hand des Mannes und schaute ab und an zu ihm auf.
Lara ließ ihre Besuche bei der Sekte Revue passieren und versuchte, sich an die Gesichter der Menschen im Speiseraum zu erinnern. »Könnte sein. Versuchen wir es einfach.« Sie stieg als Erste aus und ging auf den Mann zu. Jo schoss ein paar heimliche Fotos und folgte ihr dann.
»Guten Tag. Gehören Sie zu den Kindern des Himmels ?« Lara blieb zwei Meter vor dem Mann stehen und lächelte ihr höfliches Lächeln.
»Sie sind die Journalistin.« Eine Feststellung, keine Frage. Der Mann war ebenfalls stehen geblieben, aber nur, weil Lara ihm den Weg versperrte. Zwischen seinen Augenbrauen stand eine steile Falte, die Lippen hatte er sofort nach seiner Bemerkung wieder fest zusammengepresst.
»Ja, Lara Birkenfeld von der Tagespresse . Ich war wegen einer Reportage bei Ihnen.«
»Eine Reportage, ach so … Waren das nicht Sie, die gestern in unserem Keller herumgeschnüffelt hat?«
»Das war ich.« Jo, der inzwischen auch ausgestiegen und herangekommen war, streckte den Arm aus, aber der Mann ignorierte die dargebotene Hand.
»Und jetzt wollen Sie die Leute auf der Straße aushorchen?«
»Wir planen einen ausführlichen Bericht über die verschiedenen Glaubensgemeinschaften in Leipzig. Mit Herrn Holländer habe ich schon gesprochen. Jetzt hätte ich gern noch ein paar O-Töne von den Mitgliedern.« Lara betrachtete den Jungen. Er hatte sich halb hinter dem Mann versteckt und hielt dessen Hand noch immer fest umklammert.
»Dann kommen Sie doch am Wochenende vorbei.« Die Kaumuskeln des Mannes bewegten sich unter der Haut. »Wenn Sie den Leuten auf der Straße auflauern, wird niemand mit Ihnen reden.«
»Wir glauben eigentlich nicht, dass Herr Holländer uns noch einmal in die Villa lässt.« Jo zuckte entschuldigend die Schultern und setzte hinzu: »Aber wir hätten trotz allem gern mit einigen von Ihnen geredet. Läuft da drin alles nach den Normen ab? Wir könnten Ihnen helfen, wenn Sie Sorgen oder Probleme haben.«
»Komm, Marcel, wir gehen.« Der Mann trat einen Schritt auf Lara zu und zwang sie so, beiseitezugehen. Der Junge schaute stumm zu Boden.
»Bitte denken Sie noch einmal darüber nach.« Lara kramte eine Visitenkarte aus der Innentasche ihrer Jacke und hielt sie dem Mann hin. »Vielleicht möchten Sie doch irgendwann mit uns reden.« Sie sah, wie sich die Muskeln im Gesicht des Mannes bewegten und ergänzte hastig: »Es bleibt alles unter uns, das garantiere ich Ihnen.« Sie war Jo dankbar, dass er sich nicht einmischte. Jetzt bewegte der Mann den linken Arm, hob ihn an und ließ ihn wieder fallen, wobei die Finger sich zu einer Faust ballten und wieder öffneten. Lara versuchte, das Kärtchen ruhig zu halten. Sie wusste nicht, ob es ihr eingefrorenes Lächeln war oder die Stimme in ihrem Kopf, die ständig flüsterte, er möge die Visitenkarte nehmen, jedenfalls schnellte die Hand des Mannes plötzlich nach vorn und griff nach dem Papier, während er hastig den Kopf von links nach rechts drehte.
»Danke. Rufen Sie mich an. Jederzeit.«
Der Junge zerrte jetzt, noch immer stumm wie ein Fisch, an der Hand.
»Wie heißen Sie?«
»Wörth. Frieder Wörth.« Frieder Wörth drängte sich an Lara vorbei und stürmte, den Jungen hinter sich herziehend, zum Eingang der Villa. Lara sah ihnen nach. Etwas stimmte mit den beiden nicht. Das Kind hatte eingeschüchtert, fast ängstlich gewirkt, der Mann dominant und gleichzeitig unsicher. Die beiden verschwanden hinter den Rhododendronsträuchern.
Im selben Moment, in dem sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, öffnete sich das große zweiflügelige Tor, ein weißer Lieferwagen kam herausgefahren und bog auf die Straße ab. Lara fixierte das Gesicht hinter dem Steuer. Noch ehe Jo seine Kamera startklar hatte, war das Auto schon um die nächste Ecke verschwunden.
»Den jungen Mann am Steuer habe ich auch schon mal getroffen.« Lara kniff die Augen zu und dachte nach. »Ich glaube, er ist mir im Haus auf der Treppe begegnet.« Lara schnallte sich in der Erwartung, dass Jo losfahren würde, an. »Sagtest du
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