Suendenpakt
Schluck Cola. »Zehn Meter entfernt. Vielleicht weniger. Ist schwer, darüber zu reden.«
»Was erzählst du da, Dante? Du hast gesehen, wie Feifer, Walco und Rochie erschossen wurden? Du willst damit sagen, du kannst das bezeugen?«
Dante hört auf zu essen und blickt mir in die Augen. Ich weiß nicht, ob er wütend oder verletzt ist. »Gesehen hab’ ich’s nicht, nein. Michael und ich haben uns in den Büschen versteckt, aber ich habe es so deutlich gehört, wie ich dich jetzt höre. Zuerst hat eine Stimme gesagt: ›Auf die Knie, ihr Nutten‹, dann hat jemand anderes, vielleicht Feifer, gefragt: ›Was soll das?‹ Schon irgendwie freundlich, als würde er das für einen Witz halten. Aber dann haben sie gemerkt, dass die Sache doch ernst ist, und sie haben geschrien und gebettelt bis zum letzten Schuss. Ich werde nie vergessen, wie sie um ihr Leben gebettelt haben.«
»Dante, warum bist du an dem Abend noch einmal dorthin gegangen?«, will ich wissen. »Nach dem, was am Nachmittag passiert ist? Das ergibt für mich keinen Sinn.« Und für die Polizei auch nicht, was ich jedoch nicht sage.
»Feifer hat uns gebeten hinzukommen. Meinte, es sei wichtig.«
Das ergibt noch weniger Sinn.
»Feifer? Warum?«
»Feifer hat uns am Nachmittag angerufen. Deswegen habe ich seine Stimme am Strand wiedererkannt. Meinte, er will diese Geschichte hinter sich bringen, will die Sache klären. Michael wollte nicht hingehen, aber ich dachte, das käme ganz gut.«
»Hat Michael noch seine Waffe?«, schaltet sich Clarence ein.
»Hat sie beseitigt. Meinte, er hätte sie seinem Cousin in Brooklyn verkauft.«
»Wir müssen uns die Waffe zurückholen«, drängt Clarence. »Aber zuerst musst du dich der Polizei stellen. Je länger du wartest, desto schlimmer sieht es aus. Du musst es tun, Dante.«
»Clarence hat Recht«, stimme ich zu, lasse es aber dabei bewenden. Ich weiß von Clarence, dass Dante immer irgendwie zu mir aufgeblickt hat. Dante schweigt ein paar Minuten. Lange Minuten. Ich verstehe das - er hat sich gerade satt gegessen, und er ist frei.
»Dann lasst uns das heute Abend über die Bühne bringen«, erklärt Dante schließlich. »Aber Tom kommt mit, ja? Ich will nicht, dass irgendwas Komisches passiert, wenn ich bei der Polizei aufkreuze.«
27
Tom
Auf der Fahrt nach Bridgehampton erledige ich einen Anruf, aber nicht bei der Polizei, um dort zu sagen, dass wir auf dem Weg sind. Ich rufe Len Levitt an, einen Sportfotografen der Nachrichtenagentur AP. Ich kenne ihn seit Jahren und vertraue ihm fast hundertprozentig.
»Ja, mir ist klar, wie spät es ist, Len. Willst du denn nicht wissen, warum ich dich geweckt habe?« Endlich denkt Levitt nach, statt mich zu verfluchen.
Sobald wir die Stadt verlassen und den Midtown Tunnel durchquert haben, zeigt uns Clarence, zu was sein großer Buick noch in der Lage ist. Kurz vor drei Uhr morgens treffen wir bei Marie zu Hause ein.
Sie wartet bereits vor dem Wohnwagen. Kerzengerade und mit Spielergesicht steht sie da. Falls jemand gedacht hat, sie würde sich von den Ereignissen der letzten Woche unterkriegen lassen, hat er sich getäuscht.
Sie trägt ihre Sonntagskleider, neben ihr steht eine große Plastiktüte voll mit Essen, das sie den ganzen Abend gekocht und in Tupperdosen gefüllt hat, falls Dante die Nacht im Gefängnis verbringen muss. Wer weiß, wie lange sie schon dort steht. Aber wenn nötig, hätte sie auch die ganze Nacht dort ausgehalten.
Und der nächste Blick in ihr Gesicht verrät, dass sie für ihren Enkel durch die Hölle gehen würde. Großmütter sind schon so eine Nummer für sich.
Aber im Moment ist Marie vor allem froh, dass sie Dante sehen und anfassen kann, und als sie ihre Arme um seine
Taille legt, ist ihr Blick gleichermaßen wütend und von Liebe erfüllt. Und dann die nächste Überraschung: Dante weint in ihren Armen.
»Keine Sorge, Grandma, ich werde heil aus der Sache rauskommen«, versichert er ihr unter Tränen.
»Natürlich wirst du das, Dante. Du bist unschuldig.«
Zweiter Teil
Kate Costello
28
Tom
Es ist Viertel nach vier. Im Mondlicht hat die verwaiste Main Street von East Hampton schon fast etwas Angenehmes. Der einzige Wagen, der hier zu sehen ist, ein verbeulter weißer Subaru, steht vor dem malerischen Fünfzigerjahrekino mit Markise.
Während sich Clarence langsam durch die Dunkelheit pflügt, werden die Lichter des Subaru eingeschaltet. Er fährt los, und als wir an der kleinen Polizeidienststelle eintreffen, ist er
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