Sündenzeit
einem Krankenhaus befinde und dass ich kämpfen muss, um weiterzuleben. Ich musste leben, weil ich zu Hause erwartet wurde. Von meiner Tochter.“
„Aha“, sagte Caer nur.
„Caer?“
Sie zuckte zusammen und sah sich um.
Michael stand an der Tür. Er trug einen weißen Arztkittel und ein Namensschild auf der Brusttasche, auf dem „Dr. Michael Haven“ stand.
„Entschuldigen Sie mich kurz“, sagte sie zu Sean.
„Oje, verzeihen Sie mir. Ich habe Sie wirklich aufgehalten“, sagte Sean schuldbewusst.
„Nein, nein, alles in Ordnung“, versicherte sie ihm und stand auf. Dann lächelte sie und drückte leicht seine Hand. „Ich bin gleich zurück.“
„Und damit würden Sie mich sehr glücklich machen, mein Mädel“, erwiderte er.
Ihr Lächeln vertiefte sich bei seinem irischen Tonfall.
„Ich werde derweil ein bisschen mit meiner Familie plaudern“, fügte er hinzu und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Fotos auf seinem Nachttisch.
Sie musste lachen, auch wenn sie beim Anblick dieser glücklich strahlenden Gruppe auf dem Bild das Gefühl bekam … als würde man sie übergehen. Auf dem Foto hatte Sean den Arm um eine schöne junge Frau Mitte zwanzig gelegt. Sie blickte zu ihm auf mit all der Anbetung einer Tochter für ihren Vater in den Augen. Dann war da noch eine andere junge Frau – seine Ehefrau, aber offensichtlich nicht die Mutter seiner Tochter. Sean hatte ihr erzählt, dass seine erste Frau gestorben sei. Seine neue Ehefrau war nur wenige Jahre älter als seine Tochter. Auf der anderen Seite neben Sean standen drei große und – das musste sie zugeben – äußerst attraktive Männer. Alle ganz eindeutig miteinander verwandt. Brüder, wie Sean sagte. Eine alte Frau saß vor ihnen in einem Lehnstuhl. Bridey, Seans Tante, die bei ihnen lebte.
Bridey besaß dieselben hellblauen Augen wie Sean und seine Tochter. In ihrem Blick fand sich eine Mischung aus Weisheit, Freundlichkeit und Leidenschaft. Caer fand diese Bridey sehr sympathisch und wusste, dass sie sie sofort ins Herz schließen würde, wenn sie sich träfen.
Doch am meisten wurde sie von dem Anblick des Bruders angezogen, der Sean auf dem Foto am nächsten stand.
Er war wie die anderen hochgewachsen und hatte helles rotbraunes Haar. Sein Blick schien sich direkt in Caers Augen zu bohren. Sie konnte nicht anders, als das Bild anzustarren. Es erschreckte sie, wie sehr ihr dieser Anblick zu Herzen ging. Noch nie hatte sie solche Augen gesehen. Sie waren nicht blau wie Seans, sondern grün. Wie die Gewässer der Karibik. Sie stachen förmlich aus dem gebräunten Gesicht heraus, zogen sie magisch an, durchdringend. Caer fühlte sich, als würde er sie abschätzen, obwohl es ja nur ein Foto war.
Zuerst hatte sie vermutet, dass es Seans Schwiegersohn sei. Doch Sean hatte ihr erklärt, dass sie nicht verwandt wären. Die Flynn-Brüder waren einfach wie die Söhne, die er nie gehabt hatte.
„Er ist auf dem Weg hierher“, sagte Sean.
„Wie bitte?“ Caer riss sich verlegen von dem Anblick des Fotos los.
„Zach Flynn“, sagte Sean. „Kat hat ihn davon überzeugt, dass ich eine Eskorte nach Hause benötige.“ Er seufzte niedergeschlagen. „Auf dem Bild sehen wir aus wie eine nette Familie, nicht? Ich fürchte nur, ganz so ist es nicht. Wenn man eine jüngere Frau heiratet, denken alle, sie wäre eine Erbschleicherin. Wer hätte gedacht, dass ich auf meine alten Tage noch den Friedensstifter spielen muss?“
„Ich bin sicher, es wird sich alles zum Besten wenden“, sagte Caer. Was eine alberne Plattitüde war, wie sie wusste. Aber im Krankenhaus gaben die Leute oft solche Floskeln von sich. Das ergab sich aus den Umständen.
„Caer?“
Wieder rief er nach ihr. Michael. Sie hätte ihn fast vergessen, und er wartete darauf, dass sie ihm folgte.
„Entschuldigen Sie mich“, sagte sie noch einmal zu Sean, bevor sie aus dem Krankenzimmer eilte.
Michael war bereits auf dem Weg den Flur entlang, und sie lief schneller, um ihn einzuholen.
Er verschwand in seinem Büro, und sobald sie eintrat, schloss er die Tür hinter ihr. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und spürte seinen Blick – es war kein angenehmes Gefühl.
Er lief einen Moment auf und ab, dann ging er zu seinem Schreibtisch und blieb dahinter stehen. „Was machst du eigentlich?“, wollte er wissen.
„Wie meinst du das?“, entgegnete sie, entschlossen, sich nicht in die Defensive drängen zu lassen.
„Genau wie ich es gesagt habe – was machst
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