Sündenzeit
Tourismus gehen die Geschäfte nicht so gut.“
„So läuft das überall“, versicherte Zach ihr zustimmend.
„Irischer Amerikaner?“, erkundigte sie sich und zeigte auf seinen rotbraunen Haarschopf.
Er lachte. „In Amerika sind wir ja alle ein bisschen irisch, glaube ich – zumindest am St. Patrick’s Day. Ich heiße übrigens Flynn, aber die Familie meines Vaters hat eine lange Tradition in den Staaten. Allerdings war meine Mutter Irin.“ Plötzlich runzelte er die Stirn, als er an ihr vorbeisah. Er glaubte, einen merkwürdigen Schatten hinter ihr gesehen zu haben. Eine Silhouette im Mittelgang. Es muss ein Lichtreflex gewesen sein, dachte er, als das Flugzeug sich neigte, um in die Schneise zur Landebahn einzubiegen.
„Dann kommen Sie also nach Hause?“, sagte sie.
Er schüttelte den Kopf, aber etwas an ihrem Gesichtsausdruck berührte ihn. „Ich bin nur hergekommen, um einen Freund abzuholen und nach Hause zu bringen. Er ist kurz nach seiner Ankunft hier krank geworden.“ Und seine Tochter glaubt, dass ihre Stiefmutter ihn umbringen will, fügte er in Gedanken hinzu.
„Ich verstehe. Sie bringen ihn zu Weihnachten nach Hause“, flüsterte sie.
„Nun, ich bringe ihn nach Hause, ja. Und es ist bald Weihnachten“, entgegnete Zach.
Sie reichte ihm die Hand. „Ich heiße Maeve.“
„Nett, Sie kennenzulernen, Maeve. Ich bin Zach.“
„Also ich komme nach Hause, weil Weihnachten ist“, betonte sie. „Die alte Musik, die alten Traditionen.“ Sie lächelte. „Zu Hause ist es am schönsten.“
„Ist zu Hause nicht dort, wo das Herz ist?“, fragte er ebenfalls lächelnd.
Sie lachte leise. „Aye, und mein Herz ist hier, so ist es, mein Junge. Alle meine Lieben sind hier, und Dublin … das hat mich geprägt. Meine Jungs und Mädels sind alle hier, ihre Kinder ebenfalls und deren Kinder …“
Er nickte verständnisvoll.
„Wo ist denn Ihr Zuhause?“, wollte sie wissen.
Er zögerte. Und seine Reaktion überraschte ihn. Zuhause. Wo war sein Zuhause eigentlich? Interessante Frage.
„Meine Eltern sind schon vor langer Zeit gestorben“, erklärte er ihr.
„Ach so“, sagte sie leise.
„Ich habe zwei Brüder, beide mit wundervollen Frauen verheiratet. Wir sind in Florida aufgewachsen. Inzwischen lebt einer von uns in New Orleans, der andere in Salem in Massachusetts, und ich verbringe immer noch viel Zeit in Miami.“
„Und sicher vermissen Sie Ihre Brüder“, bemerkte sie mitfühlend.
Er lachte. „Nein, ich sehe sie eigentlich sehr oft. Wir arbeiten zusammen.“
„Ein Familienbetrieb“, sagte sie erfreut. Dann runzelte sie verwirrt die Stirn. „Aber wie machen Sie das denn, wenn alle mit ihren Familien woanders leben?“
„Computer. Wir waren alle … bei der Polizei. Dann haben wir unsere Jobs aufgegeben und eine Detektivagentur gegründet. Wir sind also sowieso immer unterwegs.“
„Stöbern im Unbekannten“, bemerkte sie.
„Was dem einen nicht bekannt ist, weiß gewöhnlich irgendjemand anders“, sagte Zach. „Wir finden Dinge heraus, die jemand übersehen hat oder nicht weiß.“ Er zuckte leicht zusammen, als sie nach seiner Hand griff und seine Finger eingehend betrachtete.
„Ein Musiker sind Sie auch.“
Er lachte überrascht. „Maeve, sollten Sie mal einen Job suchen, rufen Sie mich an. Sie sind echt gut.“
„Der singende Detektiv?“, scherzte sie.
„Keineswegs. Ich spiele Gitarre, sagen wir mal, nicht schlecht. Aber ich besitze eine kleine Plattenfirma und ein paar Aufnahmestudios. Darin liegt hauptsächlich mein Talent.“
Die Stewardess ging ans Mikrofon, um die Fluggäste über die Lautsprecheranlage in Irland willkommen zu heißen. Es gab einen kurzen Ruck, als sie landeten. Maeve, die immer noch Zachs Hand hielt, drückte plötzlich fest zu und wurde kreidebleich.
„Es war ein bisschen stürmisch bei der Landung“, beruhigte er sie.
Sie lächelte schwach. „Ich habe nur einen dunklen Schatten gespürt, mein Junge. Ein Schatten auf dem Herzen.“
Er drückte tröstend ihre Hand. „Es war nur ein bisschen stürmisch“, wiederholte er.
Ein Schatten auf dem Herzen? Nun ja, immerhin ist sie zweiundneunzig, rief er sich in Erinnerung.
Trotzdem eine merkwürdige Formulierung. Automatisch musste er an den seltsamen Schatten im Gang vorhin denken.
Sie waren über Nacht geflogen. Als Zach wieder aus dem Fenster sah, ging gerade die Sonne auf.
Wenige Sekunden später war das Klicken von hundert sich öffnenden Sicherheitsgurten zu hören.
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