Sündenzeit
verließ ihr Zimmer und wollte zu seinem eigenen gehen. Am Ende des Flurs blieb er stehen, wo er von einem hohen Bogenfenster aus in die Nacht sehen konnte. Niemand hatte den Vorhang zugezogen, und der Blick bei Mondlicht war atemberaubend. Die zerklüfteten Felsen, die Silhouetten der Schiffe, die vor Anker lagen. Die Lichter entlang den Docks beleuchteten die Häuser aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, die an der Küste aufgereiht standen. Weihnachtslichter blinkten und verliehen der friedlichen Szenerie eine festliche Note.
Dann sah er die Vögel.
Raben oder Krähen.
Als er sich ans Fenster gestellt hatte, waren sie erschienen. Erst einer, dann zwei. Dann ein Schwarm – Massen von Krähenvögeln. Sie schwangen durch die Luft, ihre großen schwarzen Schwingen wirkten noch mächtiger im Mondlicht. Und sie begannen, sich auf dem Dach von Claras und Toms Cottage niederzulassen.
Zach schüttelte sich.
Vögel. Es waren nur Vögel.
Trotzdem musste er unwillkürlich daran denken, dass sie ihre Flügel ausbreiteten wie eine dunkle Decke.
Schnell ging er zurück in Brideys Zimmer, um noch einmal nach ihr zu sehen. Er berührte vorsichtig ihr Gesicht, und sie öffnete die Augen.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken.“
„Ich habe nicht geschlafen. Ich höre den Vögeln zu. Sie sind da draußen, nicht? Ich höre, wie sie die Flügel schlagen. Sie kommen zuerst, weißt du.“
„Wovon redest du denn, Bridey?“
„Zuerst kommen die Vögel. Sie künden vom Schicksal derer, die gesegnet oder verdammt sind, sodass die Seele ihren Frieden mit Gott machen kann.“
Sie redete Unsinn, und Zach fürchtete, dass sie Fieber hatte. Aber ihre Stirn fühlte sich nicht heiß an.
„Bridey, du jagst mir Angst ein.“
„Ach, Zach, ich will dich nicht beunruhigen. Mach dir keine Sorgen. Und sei nicht traurig. Nur wenige wissen, ob ihr Platz im Himmel oder in der Hölle sein wird. Aber ich gehöre zu den Glücklichen, denn ich weiß es.“
„Bridey …“
„Wie dumm, dass ich so viel erzählen muss. Aber jetzt ist mir nach Schlafen, und du solltest auch zu Bett gehen. Wir brauchen dich hier, weißt du. Ausgeruht und gesund.“
Er drückte ihr noch einen Kuss auf die Stirn und ging dann in sein Zimmer.
Aber das Echo des Windes verfolgte ihn. Es klang wie das Klagen der Verdammten oder das Kreischen der Krähen.
Und immer wieder ging ihm das Wort durch den Kopf …
Banshee .
Als Kat an diesem Abend ins Bett ging, war sie fuchsteufelswild.
Amanda war es. Amanda versuchte, ihren Vater umzubringen. Auch wenn er das nicht glauben, nicht wahrhaben wollte. Diese Frau war ein richtiges Monster. Sie machte ihm etwas vor, nur wegen seines Geldes. Warum er sie nicht durchschaute, war ihr ein vollkommenes Rätsel. Waren denn alle Männer, ihr Vater eingeschlossen, nicht in der Lage, gegen die Macht ihrer Hormone anzukämpfen?
Wenigstens kümmerte sich dank Zach die Polizei jetzt um diese Sache. Kat wusste nicht, ob sie hoffen sollte, dass der letzte Zwischenfall das Werk eines frustrierten psychisch Gestörten war, der Lebensmittel manipulierte und die ganze Einwohnerschaft dabei gefährdete. Wenn ja, dann handelte es sich wirklich um einen extremen Zufall. Oder ob sie ein Ungeheuer in ihrer Mitte hatten. Beide Vermutungen waren alles andere als beruhigend.
Sie putzte sich die Zähne, wusch sich das Gesicht, schlüpfte in ihren bequemsten Flanellpyjama und legte sich ins Bett. Lächelnd kuschelte sie sich an eins ihrer Lieblingsstofftiere. Ein sehr echt wirkender Collie, den ihr Vater mal vor Jahren mitgebracht hatte.
Sie schloss die Augen.
Das alte Haus knackte und stöhnte.
Kat horchte auf die Geräusche. Die sie mehr und mehr nervös machten.
Sie konnte einfach nicht anders. Dabei hatten Zach und ihr Vater sichergestellt, dass alle Eingänge verschlossen und die Alarmanlage eingeschaltet waren. Trotzdem konnte sie sich nicht entspannen, lauschte auf jeden Laut und versuchte ihn einzuordnen.
Sie strengte ihre Ohren an und vernahm die Geräusche eines alten Gebäudes, in dem sich alles zur Ruhe legte.
Doch da war noch etwas anderes. Flügelschlagen .
Ein lautes Flattern in der Luft, als wären sie überall um das Haus herum.
Kat lag da und ermahnte sich, nicht wie ein verängstigtes kleines Kind zu reagieren. Das schaffte sie fünf Minuten lang, dann reichte es ihr plötzlich.
Sie schoss hoch, blieb neben dem Bett stehen und lauschte.
Es machte ihr Angst, fürchterliche Angst sogar. Aber sie
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