Sündige Seide: Roman (German Edition)
rannte über den leicht hügeligen Rasen. Ein Polizist versuchte sie aufzuhalten, aber sie ignorierte seine Haltrufe.
»Meine Freundin braucht mich.«
Atemlos kam sie an der Verandatreppe an und lief auf die Menschen zu, die sich in der Tür drängten. In dem Haus schrie ein hysterisches Kind. Polizisten forderten sie auf, stehenzubleiben.
Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden wahr, als sie auf der Türschwelle eine Gestalt unter einem Leintuch erblickte. Sie war zu spät gekommen! Yasmine hatte ihn umgebracht! Aufgeregt suchte sie unter den hektisch und verwirrt herumlaufenden Menschen nach Yasmine.
Plötzlich fiel ihr Blick auf Alister Petrie. Vor Erleichterung hätte sie beinahe losgelacht. Er wirkte wie betäubt, schien aber unverletzt zu sein.
Dann bemerkte sie, daß er mit frischem Blut bespritzt war, das offensichtlich nicht seines war. Die Lache zu seinen Füßen wurde von dem Fluß gespeist, der unter der Plastikplane hervorströmte.
Wieder sah Claire auf den Körper, und diesmal sah sie etwas unter der Plane herausragen, das ihr beim erstenmal entgangen war – eine Hand, eine wunderschön geformte, lange, schlanke, kaffeebraune Hand.
Und um das Handgelenk lagen glänzende Goldreifen.
Kapitel 25
Als Claire aus der Fluggastbrücke trat, wurde sie von Blitzlichtern und Kamerascheinwerfern geblendet. Automatisch hob sie den Arm über die Augen. Sie wollte fliehen, aber sie konnte nirgendwohin. Die anderen Fluggäste drängten hinter ihr hinaus, schnitten ihr diesen Fluchtweg ab, und vor ihr stand eine Phalanx von Reportern und Fotografen.
In New York hatte sie den Trubel erduldet, den Yasmines Selbstmord ausgelöst hatte. Sie hatte damit gerechnet, daß sich die Presse darauf stürzen würde, deshalb hatte sie sich zusammengerissen und sich den Medien gestellt. Aber sie hatte geglaubt, daß bis zu ihrer Rückkehr nach New Orleans das Interesse abgeflaut wäre und war nicht auf die Reporter vorbereitet, die sich wie eine Meute auf sie stürzten.
»Miss Laurent, was halten Sie von Yasmines Verbindung –«
»Treffen die Anschuldigungen zu?«
»Was wissen Sie über –«
»Bitte«, sagte sie und versuchte, sich durchzukämpfen. Aber sie standen fest wie eine Kompanie kamera- und mikrofonbewehrter Soldaten. Sie gaben keinen Fußbreit nach. Ohne eine Erklärung würden sie nicht weichen.
»Meine Freundin war offensichtlich sehr unglücklich.« Claire hatte ihre große Sonnenbrille aufgesetzt und versuchte, das Gesicht von dem gleißenden Scheinwerferlicht abzuwenden. »Ich trauere um sie, aber sie hat mir und der gesamten Modeindustrie so viel gegeben, daß die Erinnerung an sie noch über viele Jahre hinweg weiterleben wird. Und jetzt entschuldigen Sie mich.«
Sie ging durch den Flughafen, ohne noch eine Frage zu beantworten. Schließlich erbot sich ein Wachmann, ihr Gepäck abzuholen, und half ihr in ein Taxi. Als sie bei French Silk ankam, wurde sie dort nicht nur von weiteren Reportern, sondern auch von Anhängern Jackson Wildes erwartet, die unerbittlich weiterdemonstrierten. Hastig bezahlte sie den Fahrer und lief ins Haus.
Zu ihrer Erleichterung sah sie, daß die Angestellten ihrer Arbeit nachgingen, aber die Stimmung schien gedrückt. Einige sprachen Claire leise ihr Beileid aus. Im Aufzug setzte sie die Sonnenbrille ab, trug flüchtig Lippenstift auf und sammelte sich. Sie wollte nicht, daß sich Mary Catherine noch mehr über Yasmines Selbstmord aufregte. Als sie ihre Mutter und Harry auf dem La-Guardia-Flughafen in ein Flugzeug nach New Orleans gesetzt hatte, war ihr Mary Catherine verunsichert und verwirrt vorgekommen. Claire hatte sich Sorgen um ihre Mutter gemacht und sich nur ungern von ihr getrennt, aber sie hatte das Gefühl gehabt, daß es Mary Catherine in ihrer vertrauten Umgebung bessergehen würde als in New York, wo Claire ihr nur wenig Zeit und Aufmerksamkeit widmen konnte.
Sie setzte ein Lächeln auf, öffnete die Tür zu ihrem Apartment und schwebte hinein. »Mama, ich bin wieder da!« Sie war erst ein paar Schritte weit gekommen, als sie Mary Catherine im Wohnzimmer entdeckte. Sie saß in einer Sofaecke und schniefte in ein Taschentuch. Harry stand am Fenster, steif, ernst und mit mißbilligender Miene.
Nachdem sie das ganze Bild in sich aufgenommen hatte, schaute Claire wieder auf Cassidy, der neben ihrer Mutter saß.
»Was zum Teufel wollen Sie hier?«
»Ich habe ihm gesagt, daß ich das nicht richtig finde, aber er hat darauf bestanden, mit ihr zu
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