Sündige Seide: Roman (German Edition)
überhaupt nichts gesagt. Er versteckt sich hinter seiner Frau und überläßt ihr das Reden. Wirklich geschickt, wenn man sich’s recht überlegt. Wenn seine Frau so zu ihm hält, dann konnte er doch keine außereheliche Affäre gehabt haben, oder?«
»Richtig. Und damit stempeln sie Yasmine als Verrückte ab.«
»Darauf läuft es hinaus.« Cassidy lenkte den Wagen auf den reservierten Parkplatz neben dem Gebäude der Staatsanwaltschaft.
»Warum hast du mich hergebracht?« fragte Claire wütend. »Ich habe eine lange Reise hinter mir. Ich bin müde. Mir ist nicht danach zumute, irgendwelche Fragen zu beantworten. Außerdem bin ich wütend auf dich, weil du meine Mutter belästigt hast. Ich dachte, du wärst den Fall inzwischen los. Hat ihn dir Crowder immer noch nicht weggenommen?«
»Nicht, seit wir entscheidende Fortschritte gemacht haben.«
»Herzlichen Glückwunsch. Aber was haben diese entscheidenden Fortschritte mit mir zu tun? Ich war nicht einmal hier.«
Er wandte sich ihr zu und legte seinen Arm quer über die Rückenlehne. »Wir haben die Kugel, die Yasmine getötet hat, ballistisch untersucht. Sie weist die gleichen Merkmale auf wie die, mit denen Jackson Wilde umgebracht wurde. Alle wurden aus dem .38er Revolver abgefeuert, den die tote Yasmine in ihrer Hand hielt.«
Kapitel 26
Andre Philippi schrubbte seine Fingernägel mit Bürste und Waschlotion. Seit er an diesem Morgen aufgewacht war, hatte er sich schon fünfmal zwanghaft und übergründlich die Hände gewaschen. Als sie ihm – vorübergehend – sauber genug schienen, spülte er sie unter beinahe unerträglich heißem Wasser ab und trocknete sie mit einem flauschig weißen Handtuch, das eben erst aus der Hotelwäscherei gekommen war.
Er musterte sich in dem Spiegel über dem Becken. Seine Kleider waren makellos, nirgendwo war ein Fleck oder eine Falte zu entdecken. Die rosa Nelke im Aufschlag war taufrisch. Jedes Haar war eingeölt und lag an seinem Platz. Eigentlich sollte er sich prächtig und herausgeputzt fühlen wie ein nagelneues Auto im Schaufenster.
Statt dessen fühlte er sich unsicher, ängstlich und elend.
Er ging aus der Toilette, nicht ohne gewissenhaft das Licht auszuschalten, und kehrte in sein Büro zurück. Den meisten Menschen wäre es außergewöhnlich ordentlich erschienen. Andre fand es chaotisch. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Briefe, die beantwortet werden mußten, Einsatzpläne für seine Angestellten, Marketingmemos und Kundenbefragungen. Der Schriftverkehr, den er normalerweise so gern durcharbeitete und methodisch erledigte, hatte sich während seiner Trauerzeit um Yasmine angesammelt. Seit er die entsetzliche Nachricht von ihrem Selbstmord gehört hatte, war ihm nicht nach Arbeiten zumute. Wenn man bedachte, wie sehr er seine Arbeit liebte, kam diese neue Einstellung einem Sakrileg gleich.
Als Claire angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, daß Yasmine
gestorben war, hatte er sie unumwunden als Lügnerin beschimpft. Die Vorstellung, daß dieses bezaubernde Wesen sich auf so gräßliche Weise selbst zerstören könnte, war zu schrecklich, um glaubhaft zu sein, und zu schmerzlich, um darüber nachzudenken. Voller Qualen hatte er sich an jenen Tag erinnert, an dem er aus der Schule heimgekommen war und seine schöne maman nackt in der überfließenden Badewanne gefunden hatte, aus der lauwarmes Wasser und warmes Blut auf den Kachelboden tropften.
Die zwei Frauen, die er mehr als alle anderen Geschöpfe Gottes geliebt und verehrt hatte, hatten den Tod dem Leben vorgezogen. Sie hatten nicht nur einer Welt ohne ihn den Vorzug gegeben, sie hatten nicht einmal daran gedacht, sich von ihm zu verabschieden. Die Trauer schnürte ihm wie eine körperliche Krankheit die Brust zu, bis ihm bei jedem Atemzug das Herz zu zerreißen drohte.
Er hatte es abgelehnt, zu dem Trauergottesdienst, den Claire arrangiert hatte, nach New York zu fahren. Er hatte am Grab seiner maman gestanden wie damals, als es versiegelt wurde und er geschworen hatte, daß er den Tod niemals hinnehmen würde, bis er selbst starb.
Um Yasmines Tod verarbeiten zu können, hatte er versucht, sich mit vertrauten Platitüden zu trösten. »Zu große Schönheit kann auch ein Fluch sein.« »Ruhm und Glück fordern einen hohen Preis.«
Er hatte sich sogar die Sachen vorgesagt, die er von den Freunden seiner Mutter gehört hatte, als sie sich das Leben genommen hatte. »Manche Engel«, hatte ein wohlmeinender Mensch ihm erzählt, »sind so schön,
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