Sündige Seide: Roman (German Edition)
stand. Er öffnete ihr die Beifahrertür und trat zurück. Sie war zu erschöpft, um sich jetzt mit ihm anzulegen, und stieg ein.
»Wie hast du es geschafft, daß die Beerdigung nicht ins Fernsehen kam?« fragte er, als sie auf dem Weg ins Zentrum waren.
»Ich habe eine falsche Fährte gelegt. Die Reporter sind einem Leichenwagen mit leerem Sarg nach New Jersey gefolgt.« Sie berührte den goldenen Armreif an ihrem Handgelenk. Es war einer von Yasmines Lieblingsreifen gewesen. Yasmine hätte gewollt, daß sie ihn trug, das wußte Claire. »Ich hätte es nicht ertragen, wenn ihr Begräbnis zu einem öffentlichen Karneval ausgeartet wäre.«
Mehr als eine Woche war vergangen, seit sie ihre Freundin tot auf der Schwelle vor Alister Petries Haus hatte liegen sehen. Yasmine hatte sich vor ihm und seiner Tochter durch den Hinterkopf geschossen, so daß wie in einem letzten Racheakt ihr Gesicht beim Austritt der Kugel komplett zerstört wurde. Yasmine war unwiderruflich tot, Claire vergaß es oft, aber dann holte sie die Wirklichkeit wieder mit erbarmungsloser Klarheit ein.
Sie hatte kaum Zeit zum Trauern gefunden. In den Tagen nach
dem Selbstmord hatte sie unangenehme Aufgaben erledigen müssen – sie hatte Formulare unterzeichnen, Arrangements treffen, Yasmines Geschäfte regeln, Reporter abwimmeln und sich neugierigen Fragen stellen müssen.
Claire behielt Yasmines Geheimnisse für sich. Nicht einmal jetzt, wo sie ihr nicht mehr damit schaden konnte, wollte sie ihr Vertrauen enttäuschen. Gemeinsamen Freunden, die entsetzt die Nachricht vernommen hatten und Erklärungen wünschten, hatte Claire lediglich gesagt, daß Yasmine in letzter Zeit sehr unglücklich gewesen war. Sie ließ sich weder über ihre enttäuschte Liebe noch ihre finanziellen Schwierigkeiten aus.
Da Yasmines Familie nur noch aus ein paar Cousins bestand, die über die Ostküste verstreut lebten und denen sie nie nahegestanden hatte, war die Verantwortung für die Bestattungsfeier Claire zugefallen. Yasmine hatte keine Anweisungen hinterlassen, deshalb hatte Claire auf ihren Instinkt vertraut und den Leichnam verbrennen lassen. Die Trauerfeier hatte in aller Stille und vor wenigen, geladenen Gästen stattgefunden. Jetzt war eine versiegelte Urne in einem Mausoleum alles, was von ihrer atemberaubenden, talentierten, umtriebigen Freundin geblieben war, die so gern gelebt hatte, bis sie sich in den falschen Mann verliebt hatte.
Bei dem Gedanken an Petrie wandte sich Claire an Cassidy, der schweigend den Wagen fuhr. »Petries Tochter. Hat sie sich erholt?«
»Soweit ich gelesen habe, geht’s ihr allmählich besser. Sie hat immer noch Alpträume, stand gestern in der Zeitung. Und sie geht immer noch zum Kinderpsychologen.«
»Ich kann es gar nicht fassen, daß Yasmine etwas so Gräßliches vor einem Kind getan hat.«
»Petrie war der Liebhaber, der sie fallengelassen hat, stimmt’s?«
»Gut geraten.«
»Ich hab’ gehört, daß man danach eine Menge Wodu-Kram in ihrem Zimmer gefunden hat.«
»Ja.«
»Ich habe auch gehört, daß du am Tatort warst, Claire.«
»Ich habe den Altar in ihrem Zimmer entdeckt. Ich dachte, sie wollte ihm was antun. Deshalb bin ich ihr nachgefahren, aber ich bin zu spät gekommen.«
»Dr. Dupuis hat mir gesagt, daß du ihr nicht von der Seite weichen wolltest und den Leichnam ins Leichenschauhaus begleitet hast.«
»Sie war meine Freundin.«
»Eine Freundin wie dich kann man sich nur wünschen.«
»Auf dein Lob kann ich verzichten.«
»Du bist fest entschlossen, dich mit mir anzulegen, nicht wahr?«
»Ich dachte, schon bei unserer ersten Begegnung hätte sich herausgestellt, daß wir keine Freunde werden können.« Sie schauten sich kurz an und gleich wieder weg. Nach einer Weile sagte Claire: »Das wird Petries Wahlkampf gar nicht guttun. Was sagt er denn dazu?«
»Hast du das nicht gelesen?«
»Nein. Ich habe es vermieden, irgendwas über ihren Selbstmord oder die möglichen Gründe dafür zu lesen. Das hätte ich nicht ertragen.«
»Dann empfehle ich dir, in nächster Zeit keine Zeitschrift anzufassen. Jede, vom New Yorker bis zum National Enquirer, hat ihre eigene Theorie.«
»Das habe ich befürchtet. Sag mir, womit ich rechnen muß.«
»Daß sie zu viele Drogen genommen hat.«
»Das habe ich erwartet.«
»Daß sie Petrie aus rassistischen Gründen haßte.«
»Yasmine war unpolitisch.«
»Daß sie eine verlassene Geliebte gewesen war.«
»Was er bestimmt abgestritten hat.«
»Eigentlich hat er
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