Sündige Seide: Roman (German Edition)
ihn keine Sekunde länger ertragen. Er ist durch und durch widerlich.«
»Ich habe das nicht Ihretwegen getan. Ich habe es meinetwegen getan. Ich habe eine Menge Fragen. Mir war klar, daß Glenn sich die Zähne an Ihnen ausbeißt. Deshalb habe ich ihn gebeten, die Sache mir zu überlassen.«
»Was für Fragen?«
»Was für Fragen! Wir haben belastendes Beweismaterial gegen Sie gefunden, Miss Laurent.«
»Einen Ordner mit Zeitungsausschnitten?« fragte sie spitz.
»Das wird kaum reichen, Mr. Cassidy. Ich wollte mir gerade ein Sandwich machen. Möchten Sie auch eins?«
Ohne den Blick von ihr zu wenden, schob Cassidy sein Anzugjackett zurück und stemmte die Hände in die Hüften. Er sah sie an, als versuchte er, schlau aus ihr zu werden. »Sie sind ganz schön cool«, sagte er gepreßt. »Und Sie lügen.«
»Sie haben mich nie gefragt, ob ich einen Ordner über Jackson Wilde angelegt habe.«
»Es überrascht mich, daß Sie nicht so tun, als hätten Sie das da nie gesehen.« Er deutete auf die Ausschnitte auf der Theke.
Claire umrundete die Theke und ging zum Kühlschrank. »Leugnen hätte mich doch erst recht verdächtig gemacht. Möchten Sie Krabbensalat?«
»Gern.«
»Weißbrot oder Vollkorntoast?«
»Jesus«, murmelte er und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Ihr Leute im Süden hört wirklich nie auf, gastfreundlich zu sein.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil Glenn unten darauf wartet, Sie zu verhaften, und Sie mich fragen, ob ich Vollkorn- oder Weißbrot will.«
»Man wird mich nicht verhaften, Mr. Cassidy, das wissen Sie so gut wie ich.« Nachdem sie alle Zutaten aus dem Kühlschrank genommen hatte, drehte sie ihm den Rücken zu und machte die Sandwichs. Sie hoffte, daß er nicht bemerkte, wie ihre Hände zitterten.
Im Rückblick erschien ihr das Wegwerfen des Ordners wie die Verzweiflungstat eines Menschen, an dessen Händen Blut klebte. Es war dumm gewesen, ihn in eine Mülltonne zu schmeißen. Aber am Tag nach dem Mord hatten sich die Ereignisse so überstürzt, daß sie keinen klaren Gedanken hatte fassen können. Sie hatte die Lage falsch eingeschätzt, und für diese Fehleinschätzung mußte sie nun bezahlen.
Außerdem hatte sie Cassidy unterschätzt und seine erste Vernehmung nicht ernst genug genommen. Seine Fragen waren ihr unangenehm gewesen, deshalb hatte sie nur zurückhaltend geantwortet, aber sie hatte keinen Grund zur Panik gesehen. Der Fund des Ordners änderte alles. Jetzt interessierte ihn nicht mehr nur, wie sie zu Wilde stand. Jetzt verdächtigte er sie, ihn umgebracht zu haben. Er würde sie beobachten und nach einem winzigen Anhaltspunkt suchen. Aber Claire hatte Übung darin, die Obrigkeit an der Nase herumzuführen. Und die erste Lektion lautete, sich niemals einschüchtern zu lassen.
Sie drehte sich zu ihm um. »Sie haben nicht genug Beweise, um
mich zu verhaften, Mr. Cassidy. Ich habe ein paar Artikel über Jackson Wilde gesammelt. Das ist etwas anderes, als hätten sie mich mit der Waffe in der Hand erwischt.«
»Die Waffe ist inzwischen im Golf«, antwortete er und pickte eine Olive von dem Teller, den sie ihm reichte. »Von der Strömung weggeschwemmt worden.«
»Höchstwahrscheinlich.« Da die Theke mit Zeitungsausschnitten übersät war, machte sie eine Kopfbewegung zu dem Glastisch im Eßzimmer hin. »Tee oder Limonade?«
»Tee.«
»Zucker?«
»Nichts.«
Nachdem sie mit minzebesprenkeltem Eistee in zwei Gläsern zurückgekommen war, setzte sie sich ihm gegenüber. Er nahm eine Hälfte seines Sandwichs und biß eine Ecke ab. »Ein paar von diesen Ausschnitten sind mehrere Jahre alt.«
»Mein Interesse ist mehrere Jahre alt.«
»Sie interessieren sich für Religion?«
»Nein, Mr. Cassidy«, antwortete sie bescheiden lächelnd. »Ich bin katholisch getauft, aber ich habe mich nie in der Kirche engagiert. Und ich habe ganz bestimmt nichts für charismatische Fernsehpriester übrig. Ich habe mich mit Wilde beschäftigt, weil ich ihn für einen der gefährlichsten Männer Amerikas hielt.«
»Deshalb hielten Sie es für Ihre Bürgerpflicht, ihn umzunieten?«
»Wollen sie meine Erklärung hören oder nicht?« fauchte sie ihn an.
Er bat sie mit einer Geste, fortzufahren.
»Sie sind sehr unhöflich, Mr. Cassidy.«
»Ich weiß.«
Ihre Blicke trafen sich und verharrten sekundenlang. Claire wollte keinen Rückzieher machen, deshalb begann sie zu reden. »Im Gegensatz zu vielen anderen Fernsehpredigern wollte Wilde die Menschen nicht nur um ihr Geld
Weitere Kostenlose Bücher