Sündige Seide: Roman (German Edition)
schaute Cassidy an. »Können Sie ihr bitte ein Glas Wasser holen?«
Fassungslos starrte er auf die beiden Frauen. Aus seinem Trenchcoat tröpfelte Wasser auf den Boden. Auf Claires Bitte hin fragte er die wartende Nachtportierin nach einem Glas Wasser.
»Mama.« Vorsichtig legte Claire ihre Hand auf Mary Catherines Knie. »Ich glaube nicht, daß er heute kommt. Vielleicht morgen. Warum kommst du nicht mit mir heim und
wartest dort auf ihn, hm? Hier. Mr. Cassidy hat dir ein Glas Wasser gebracht.«
Sie schloß Mary Catherines Finger um das Glas. Mary Catherine hob es an ihre Lippen und nippte daran. Dann schaute sie zu Cassidy auf und lächelte. »Das war sehr freundlich, Mr. Cassidy. Vielen Dank.«
»Bitte sehr.«
Sie bemerkte seinen nassen Mantel. »Oh, es regnet draußen. Ist es denn zu glauben? Es war so heiß, als ich hereingekommen bin. Vielleicht sollte ich doch lieber heimgehen.« Sie reichte ihm ihre Hand. Er nahm sie, half ihr aus dem Stuhl und blickte fragend zu Claire.
»Wenn Sie weiterfahren möchten, kann ich Mama und mir ein Taxi rufen«, schlug sie vor.
»Ich bringe Sie heim.«
Sie nickte und brachte das Glas zurück an die Empfangstheke.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar. Sie waren äußerst verständnisvoll.«
»Keine Ursache, Miss Laurent. Sie macht nie Schwierigkeiten. Es ist bloß so traurig.«
»Ja, das ist es.« Claire legte ihrer Mutter einen Arm um die Schulter und führte sie zur Tür, die der Türsteher schon aufhielt. »Vergessen Sie den Koffer nicht, Miss Laurent«, mahnte er freundlich.
»Ich hole ihn«, erbot sich Cassidy.
Ohne die Donnerschläge und grellen Blitze wahrzunehmen, wartete Mary Catherine neben ihrer Tochter unter dem Vordach, bis Cassidy den Koffer im Kofferraum verstaut hatte. Claire half ihrer Mutter auf den Rücksitz und schnallte sie an.
Auf der Rückfahrt redete niemand außer Mary Catherine. Sie sagte: »Ich war sicher, daß wir uns heute treffen wollten. Im Hotel Pontchartrain.«
Claire legte den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. Sie spürte unangenehm intensiv, wie gierig Cassidy alles aufsog, was um ihn herum passierte. Als sie bei French Silk angekommen waren, trug er den Koffer hoch, während Claire Mary Catherine ins Haus und in den dritten Stock führte.
Sobald sie in den Wohnräumen waren, brachte sie Mary Catherine in ihr Schlafzimmer. »Ich bin gleich wieder da, wenn Sie warten möchten«, sagte sie über die Schulter zu ihm. »Ich werde warten.«
Sie half Mary Catherine beim Ausziehen und hängte die altmodischen Kleider in den Schrank zurück. Nachdem sie ihrer Mutter ihre Medizin gegeben hatte, brachte sie sie ins Bett.
»Gute Nacht, Mama. Schlaf gut.«
»Ich muß die Tage verwechselt haben. Bestimmt kommt er morgen«, flüsterte sie. Mit einem bezaubernden, zufriedenen Lächeln schloß sie die Augen.
Claire bückte sich und küßte ihre Mutter auf die kühle, faltenlose Wange. »Ja, Mama. Morgen.« Sie schaltete das Licht aus, ging raus und schloß leise die Tür.
Sie war erschöpft. Ihre Schultern schmerzten, so verspannt waren sie. Der Weg vom Schlafzimmer ihrer Mutter zum großen, offenen Wohnbereich schien endlos.
Sie sah Cassidy nicht sofort, als sie das Zimmer betrat. Bei dem Gedanken, daß er es sich vielleicht anders überlegt hatte und gegangen war, fühlte sie sich augenblicklich erleichtert – und zugleich zutiefst enttäuscht.
Obwohl sie es Yasmine und sich selbst nicht eingestand, fand sie Cassidy attraktiv. Aber da war noch etwas anderes . . . seine Verbissenheit, seine Zähigkeit, seine Entschlossenheit? Sie fürchtete ihn, aber er hatte ihre Mutter ungwöhnlich freundlich und einfühlsam behandelt. Ihre Gefühle Cassidy gegenüber waren zwiespältig.
Sie entdeckte ihn im Halbdunkel vor dem Sideboard; er war in Hemdsärmeln. Eigenartig intim hing sein Trenchcoat neben ihrem Regenmantel und dem Hut am Garderobenständer. Als er sich umdrehte, sah Claire, daß sein Haar immer noch naß war und er zwei Schwenker mit Remy Martin in der Hand hielt. Er kam zu ihr in die Mitte des Zimmers und reichte ihr einen.
»Vielen Dank, Mr. Cassidy.«
»Es ist Ihr Cognac.«
»Trotzdem vielen Dank.«
Claire war froh, daß er kein Licht gemacht hatte. Noch kam genug Tageslicht durch die Fensterfront. Gelegentlich wurden die aufgeblähten Wolken von einem Blitz angestrahlt, hinter dem der ganze Himmel wie das Negativ eines Fotos aussah. Aber das Gewitter war schon abgeflaut und in starken, aber keineswegs bedrohlichen Regen
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