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Sündige Seide: Roman (German Edition)

Sündige Seide: Roman (German Edition)

Titel: Sündige Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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Cassidy?«
    »Nein, das kann ich nicht. Das gehört zu meinem Job.«
    »Ein mieser Job.«
    »Manchmal«, gab er zu. »Warum waren Sie nicht offen zu mir und haben von Ihren Konflikten mit den Behörden gesprochen, statt mir Herzchen-und-Blümchen-Geschichten aus Ihrer Kindheit vorzusetzen?«
    »Weil mir die Erinnerung immer noch weh tut. Ich habe immer noch Alpträume deswegen. Ich träume, daß mich die Sozialarbeiter aus Tante Laurels Haus schleifen, obwohl ich mich wehre, Mama ist verwirrt und aufgeregt. Ich will nicht fort.«
    »Den Akten zufolge hat ihnen die kleine Claire Louise Laurent ganz schön zu schaffen gemacht. Ich kann’s mir vorstellen.«
    »Zeitweise ging alles wunderbar«, erklärte sie. »Dann bekam Mama einen Anfall und machte sie wieder auf uns aufmerksam.«
    »Was war mit Ihrer Großtante? Sie haben sie als liebevoll und fürsorglich beschrieben.«
    »Das war sie, aber die Experten« – sie sprach das Wort voller Verachtung aus – »waren anderer Meinung. Sie war ein bißchen komisch und paßte deshalb nicht in ihre Schablone des perfekten
Erziehungsberechtigten. Sie holten mich und brachten mich weg. Dreimal kam ich in ein Waisenhaus. Ich lief immer wieder weg, bis sie es satt hatten und mich nach Hause ließen.
    Als ich zwölf war, verschwand Mama einmal für mehrere Tage. Schließlich stöberten wir sie in einem schmierigen Hotel auf, aber inzwischen war die Polizei schon eingeschaltet. Die Sozialbehörde erfuhr davon und kam mich holen. Ich lebte in einer ungesunden Umgebung, behaupteten sie. Ich bräuchte Ordnung und Stabilität.
    Ich schwor, daß ich weglaufen würde, wohin sie mich auch brächten, daß ich immer wieder weglaufen würde und mich nicht von meiner Mutter trennen ließe. Wahrscheinlich haben sie mir schließlich geglaubt, denn sie kamen nie wieder.«
    Ihre aufgestauten Gefühle brachen jetzt über Cassidy herein. »Ich pfeife darauf, was in den Akten über mich steht. Ich hab’ ihnen die Hölle heiß gemacht, jawohl. Und ich würde es auch heute tun, wenn uns jemand zu trennen versuchte. Ich gehöre zu ihr. Ich genieße das Privileg, mich um sie kümmern zu dürfen.
    Als sie schwanger wurde, hätte sie es sich leichtmachen können – so wie es damals unter den Reichen üblich war. Sie hätte ein Jahr lang nach Europa reisen und mich zur Adoption freigeben können. Tante Laurel meinte, meine Großeltern hätten sie dazu gedrängt. Oder sie hätte über den Fluß nach Algiers fahren und dort abtreiben lassen können. Das wäre noch einfacher gewesen. Niemand hätte etwas erfahren, nicht einmal ihre Eltern. Statt dessen entschloß sie sich, mich auszutragen und mich zu behalten, obwohl sie dafür ihr Erbe und ihr bisheriges Leben aufgeben mußte.«
    »Sie haben ein bewundernswertes Verantwortungsgefühl.«
    »Ich fühle mich nicht für sie verantwortlich. Ich liebe sie.«
    »Schließen Sie sie deshalb nicht irgendwo ein, wo sie nicht wegschleichen kann?«
    »Ganz genau. Sie braucht keine Riegel, sie braucht Liebe, Geduld und Verständnis. Außerdem wäre das grausam und unmenschlich. Ich werde nicht zulassen, daß man sie wie ein Tier behandelt.«
    »Ihr könnte etwas bei ihren nächtlichen Spaziergängen zustoßen, Claire.«
    Sie sank auf die Polsterlehne eines weichen, weißen Sofas.
    »Glauben Sie, das weiß ich nicht? Ich schließe sie nicht ein, aber ich versuche nach besten Kräften, sie vom Herumwandern abzuhalten. Yasmine hilft mir dabei. Und Harry. Aber sie ist gewitzt wie ein junges Mädchen, das durchbrennen will. Manchmal entwischt sie uns trotzdem – so wie heute nacht, als ich glaubte, sie sei in ihrem Bett.«
    Lange blieb sie ruhig. Der ferne Donner unterstrich die Stille, statt sie zu durchbrechen. Claire legte die Arme vor die Brust und schaute auf. Cassidy betrachtete sie mit diesem verdammten durchdringenden Blick. Sein Starren war ihr aus mehreren Gründen unangenehm. Sie fragte sich, ob er sich der Stille und der Dunkelheit ebenso bewußt war wie sie.
    »Warum komme ich mir bei Ihnen immer wie unter dem Vergrößerungsglas vor?« fragte sie trotzig.
    »Weil Sie das herausfordern.«
    »So seltsam bin ich doch auch nicht, oder?«
    »Sie sind ein Rätsel.«
    »Mein Leben ist ein offenes Buch.«
    »Wohl kaum, Claire. Ich mußte Ihnen jede kleine Information aus der Nase ziehen. Sie haben mich jedesmal von neuem angelogen.«
    »Ich bin in dieser Nacht ins Fairmont gegangen, um meine Mutter zu holen«, wiederholte sie müde. »Es gab keinen Grund, Ihnen

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