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Sündige Seide: Roman (German Edition)

Sündige Seide: Roman (German Edition)

Titel: Sündige Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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übergegangen. Silberne Bäche flossen über die Fenster, quirlige Wasserläufe, deren zitternde Schatten über sie hinwegliefen, als sie auf die Fenster zuging. Der Fluß war nur als dunkles Band zu erkennen, eingerahmt von den Lampen auf dem Damm zu beiden Seiten. Eine leere Barke tuckerte flußaufwärts.
    Claire ging zum Fenster und trank langsam von ihrem Cognac. Cassidy gesellte sich zu ihr, und nachdem sie eine Weile schweigend nach draußen geblickt hatten, fragte Cassidy: »Was ist in der Mordnacht passiert?«
    »Sie waren da. Sie haben es gesehen.«
    »Aber ich weiß trotzdem nicht, was passiert ist. Sie ist ausgeflippt, stimmt’s?«
    »Ja. Sie ist ausgeflippt.«
    »Ich habe das nicht so gemeint –«
    »Ich weiß.«
    »Wie oft flippt... Wie oft ist sie so?«
    »Verschieden. Manchmal kommen die Anfälle langsam. Manchmal aus heiterem Himmel. Manchmal ist sie bei klarem Verstand. An anderen Tagen, wie damals, als Sie ihr zum erstenmal begegnet sind, wirkt sie verwirrt und senil.« Ihre Stimme wurde schroff. »Und manchmal, so wie heute, lebt sie in einer ganz anderen Welt.«
    »Was löst die Anfälle aus?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Was sagen die Ärzte dazu?«
    »Daß sie es auch nicht wissen. Sie hat diese Anfälle, seit ich denken kann, und sie werden schwerer und häufiger, je älter sie wird. Anfangs waren es nur schwere Depressionen. Mama zog sich in ihr Zimmer zurück und weinte tagelang, ohne ihr Bett zu verlassen oder etwas zu essen. Tante Laurel und ich pflegten sie dann.«
    »Man hätte sie gleich zu Anfang behandeln müssen.« Claire versteifte sich und drehte sich wütend zu ihm um. »Das war eine Feststellung, keine Kritik«, sagte er.
    Claire musterte ihn kurz. Als sie überzeugt war, daß er es ehrlich meinte, entspannte sie sich wieder. »Inzwischen weiß ich auch, daß sie sofort in Behandlung gehört hätte. Eine so tiefe Depression ist nicht normal. Aber ich war noch ein Kind. Und Tante Laurel hatte zwar ein gutes Herz, aber sie wußte nichts von psychischen Krankheiten. Sie erkannte die Anfälle nicht einmal als Krankheit. Mama war eine junge Frau, die von ihrem Geliebten im Stich gelassen worden war. Ihre Familie hatte sie verstoßen und enterbt. Tante Laurel hielt ihre Krankheit für ganz normalen Kummer.« »Kummer, der sich nicht legte.«
    Claire nickte. »Während ihrer Anfälle läuft Mama manchmal weg, so wie heute abend.
    Ich vermute, daß mein Vater ihr vorgeschlagen hat, mit ihm durchzubrennen, ehe er sie verließ. Anscheinend hat er kalte Füße bekommen und sie versetzt. Mama stellt sich immer vor, daß er sie am vereinbarten Treffpunkt abholt. Heute hat sie bestimmt den Bus bis zur Trambahn genommen und ist dann über die St. Charles bis zum Pontchartrain gefahren.«
    »Wartet sie immer dort auf ihn?«
    »Nein. Die Treffpunkte wechseln. Sie weiß nie genau, wo oder wann sie ihren jungen Mann erwarten soll. Aber statt ihn dafür verantwortlich zu machen, gibt sie sich selbst die Schuld und glaubt, daß sie ihn nicht richtig verstanden hat.«
    Claire drehte sich vom Fenster weg und sah Cassidy an. »In der Nacht, in der Jackson Wilde ermordet wurde, schlich Mama aus dem Haus und ging ins Fairmont. Andre rief mich an und sagte mir, daß sie in der Hotellobby auf ihren Beau warten würde, also ging ich sie holen. Deshalb war ich dort. Nachdem ich erfahren hatte, was passiert war, bat ich Andre, nichts von meinem Besuch zu verraten. Weil die Sache nichts mit Wilde zu tun hatte, war er bereit, mich zu decken. Bestimmt haben Sie und Ihre Kollegen heiße Ohren gekriegt, als Sie unser Gespräch belauscht haben, aber Sie haben es falsch interpretiert.«
    Sie umschloß die Schale des Schwenkers mit beiden Händen und leerte ihn. Cassidy nahm ihr das Glas ab und stellte es auf das Sideboard. »Wäre es nicht leichter für alle Beteiligten, wenn Sie Ihre Mutter in ein Heim geben würden?« fragte er.
    Diese Fragte hatte Claire kommen sehen. Hundertmal war sie ihr im Laufe der Jahre gestellt worden. Die Antwort blieb immer gleich. »Bestimmt wäre das einfacher. Aber wäre es auch das beste?«
    »Ich sehe, daß Sie eine feste Meinung zu diesem Thema haben.«
    Erregt begann sie vor den Fenstern auf und ab zu gehen. »Solange ich denken kann, haben Mediziner, Sozialbeamte und Polizisten mich zwingen wollen, sie einzuliefern.«
    »Und davor hat man versucht, Sie wegzubringen.«
    Claire blieb augenblicklich stehen und drehte sich um. »Sie können es einfach nicht lassen, nicht wahr, Mr.

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