Sündige Seide: Roman (German Edition)
ein.
Claire schlug das Herz im Hals, als sie ihre Stimme hörte. »Bonsoir, Andre.« Sie starrte nach vorne durch die regennasse Windschutzscheibe. Während sie die Canal Street runterfuhren, hörte sie die Aufzeichnung des Telefonats, das sie vor kurzem mit Andre Philippi geführt hatte.
Als es zu Ende war, ließ Cassidy die Kassette auswerfen und steckte sie wieder in seine Tasche. Er konzentrierte sich darauf, den Lee Circle zu umrunden, und fuhr dann auf der St. Charles Avenue weiter. »Ich wußte gar nicht, daß Sie Französisch sprechen.«
»Fließend.«
»Das hat mich durcheinandergebracht. Ich habe Ihre Stimme nicht erkannt. Nicht, bis Ihr alter Kumpel Andre sie für mich identifizierte.«
»Andre würde niemals jemanden verraten.«
»Er dachte, ich wüßte schon, daß Sie es sind.«
»Mit anderen Worten, Sie haben ihn reingelegt.« Cassidy gab das achselzuckend zu. »Warum haben Sie sein Telefon angezapft?«
»Ich wußte, daß er etwas verheimlicht, und wollte wissen, was. So was passiert dauernd.«
»Das ist keine Entschuldigung. Es ist ein grober Eingriff in die Privatsphäre. Weiß Andre, daß Sie ihn reingelegt haben?«
»Ich habe ihn nicht reingelegt. Er hat sich selbst reingelegt.«
Claire seufzte. Sie wußte, wie unangenehm ihm das sein mußte.
»Der arme Andre.«
»Genau das hat er auch über Sie gesagt. Arme Claire. Sie beide haben wirklich ein reizendes Verhältnis. Sie denken ständig aneinander und sorgen immer füreinander. Wie nett, daß Sie beide gemeinsam in den Knast wandern. Vielleicht können wir arrangieren, daß Sie in Nachbarzellen kommen.«
Sie sah ihn scharf aus dem Augenwinkel an, worauf er heftig mit dem Kopf nickte. »Halleluja! Endlich nehmen Sie mich ernst. Auf Mord zweiten Grades steht in Louisiana lebenslänglich. Wie fühlen Sie sich jetzt als Hauptverdächtige?«
Von Drohungen hatte sich Claire Louise Laurent noch nie einschüchtern lassen; sie machten sie nur entschlossener. »Beweisen Sie, daß ich einen Mord begangen habe, Mr. Cassidy. Beweisen Sie es.«
Er hielt ihrem Blick gefährlich lange stand. Claire wandte den Blick ab, als sie vor dem Hotel angekommen waren. »Lassen Sie mich nur schnell aussteigen. In einer Minute bin ich wieder da.«
»Nein. Wir gehen zusammen.«
Er schaltete die Warnblinkanlage ein und stieg aus. Nachdem er Claire beim Aussteigen geholfen hatte, liefen sie unter das Vordach, das sich über den Bürgersteig spannte. Der Türsteher tippte sich an die Mütze, als er Claire sah.
»Abend, Miss Laurent.«
»Hallo, Gregory.«
»Schreckliches Wetter heute. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Sie ist hergekommen, bevor es richtig angefangen hat zu regnen.«
Claire ging Cassidy voran in das berühmte Hotel, wo die Suiten nach den Prominenten benannt waren, die darin gewohnt hatten. Die kleine Lobby wirkte elegant und mit ihren antiken Möbeln und Orientteppichen sehr europäisch. Sie besaß Charme und wirkte gastfreundlich wie eine Südstaatenvilla.
Mary Catherine Laurent saß an der Wand, in einem gestreiften Lehnstuhl mit vergoldeten Schwänen als Armlehnen. Ihr bedrucktes
Voilekleid war mit nicht ganz getrockneten Wasserflecken betupft. Die Krempe ihres rosafarbenen Strohhuts hing vollgesogen herab. Sie trug schneeweiße Handschuhe, hatte die Hände im Schoß gefaltet, die Beine zusammengepreßt und die Füße flach auf den Boden gestellt. Sie sah aus wie ein junges Mädchen, das auf dem Weg zur Konfirmation von einem Schauer überrascht wurde. Zu ihren Füßen stand ein Koffer.
Eine Angestellte mit strengem Haarknoten und Hornbrille hatte Dienst. Sie kam hinter dem Empfangstisch am Ende der Lobby hervor. »Ich habe gleich angerufen, als sie kam, Miss Laurent.«
»Vielen Dank.« Claire setzte ihren Regenhut ab und ging vor ihrer Mutter in die Hocke. »Hallo, Mama. Ich bin es, Claire.«
»Er wird gleich kommen.« Mary Catherines Stimme klang dünn und wie aus weiter Ferne. Ihre Augen schauten in eine andere Zeit und auf etwas, das außer ihr niemand sah. »Er hat gesagt, ich soll ihn heute nachmittag hier treffen.«
Claire nahm ihrer Mutter den traurigen Strohhut ab und strich ihr das nasse Haar aus dem Gesicht. »Vielleicht hast du dich im Tag geirrt, Mama.«
»Nein, das glaube ich nicht. Ich habe die Tage bestimmt nicht verwechselt. Er hat gesagt, daß er mich heute von hier abholt.«
Verwirrt und desorientiert hob sie eine behandschuhte Hand und preßte sie sich auf die Brust. »Ich fühle mich nicht besonders.«
Claire
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